Yves Yersins "Tableau Noir" im Kino

Ein Jahr lang hat der Schweizer Filmemacher Yves Yersin eine kleine Schulklasse in den Bergen des Jura gefilmt: eine Einheitsklasse, in der ein Lehrer Kinder im Alter von sechs bis elf Jahren unterrichtet.

Ein Schulmodell, das allerdings verschwindet, auch im Film ist es dessen letztes Jahr. Es wurde - ganz schweizerisch - per Referendum wegrationalisiert.

Kulturjournal, 03.03.2015

41 Jahre lang hat der 62-jährige Gilbert Hirschi in dieser winzigen Schule auf 1100m Seehöhe unterrichtet. Drei Generationen von Schülern sind in dieser besonderen Gesamtschule ausgebildet worden. Im Laufe der Jahre hat Hirschi eine eigene Pädagogik entwickelt: Er ist für die Kinder Wissensvermittler, aber auch väterliche Vertrauensperson, der schon mal eine Schülerin tröstet, die in Tränen ausgebrochen ist, weil sie Fehler im Diktat gemacht hat. Der, ebenso wie seine jüngere Kollegin, viel Geduld zeigt, wenn ein Schüler etwas nicht und nicht versteht.

52 Prozent waren dagege

Und er ist Schulbusfahrer, der die Kinder in der Früh einsammelt und dann wieder nach Hause bringt. Bei den Schulausflügen fährt er sie auch zum Töpfern, zu einer Käserei oder zu einem mehrtägigen Ausflug an einen See. Am Ende des Films wird er frühpensioniert, denn für ihn und sein Schulmodell ist kein Platz mehr. 52 Prozent der 700-Seelen-Gemeinde haben gegen die winzige Schule gestimmt. Und doch will Yver Yersin seinen Film nicht nostalgisch, sondern als einen Film der Hoffnung sehen.

"Es ist eine Botschaft der Hoffnung, denn dieses System der Mehrstufenklasse, wo Schüler unterschiedlicher Altersgruppen miteinander lernen, ist äußerst effektvoll", erklärt Yersin: "Einerseits bleiben die Lehrer fünf Jahre lang mit denselben Schülern zusammen. So können sie den Lernrhythmus jedes Einzelnen respektieren, und dem einen mehr Zeit geben als einem anderen. Dazu kommt, dass die Schüler sich gegenseitig unterrichten, ohne den Lehrer einzubeziehen. Und wenn ein Schüler einem anderen erklären soll, was er nicht weiß, dann muss er selbst das, was er weitergeben will, erfassen. Und das ab dem ersten Schuljahr. Und so lernen beide etwas."

Keine anonyme Lernfabrik

Dabei fällt die Autonomie der Kinder auf: Wenn es einmal eine Streiterei gibt, regeln sie das selbst; sie sind - etwa wenn sie mit einer elektrischen Säge arbeiten - selbst vorsichtig, um sich nicht zu verletzen. Beim Schifahren zeigen die Besseren den Anfängern wie es geht. Und sie helfen sich beim Lernen. Ein Schulmodell, das nicht nur Yver Yersin überzeugt hat. "Man muss wieder zurück zu einer menschlichen Proportion in der Schule. Sicher wird man nicht zu solch kleinen Einheiten zurück können, aber man muss aufhören diese anonymen Lernfabriken zu produzieren!", so der Regisseur.

Als er mit dem Projekt anfing, wusste Yves Yersin nicht, dass diese kleine Schule mit ihrem Dutzend Schülern geschlossen würde. "Die Frage, die ich mir stellte war: Was machen Kinder in der Schule? Eine Frage, die sich alle Eltern irgendwann stellen, denn die Kinder geben da keine Antworten. Und die Eltern können ja nicht in der Klasse nachsehen. Sie wissen 15 Jahre lang - der Zeit der Schulpflicht - nicht, was ihre Kinder sind, es bleibt für sie ein Rätsel - und das interessierte mich!"

"Eine lange Arbeit des Lernens"

Erstaunlich ist, wie nahe Yersin und sein Team mit der Kamera an die einzelnen Kinder herankommen, ohne dass diese auf die Kamera reagieren: sie sind völlig spontan und natürlich. Subtil werden da Emotionen - Überraschung, Stress, Lachen - gefilmt.

"Ich fokussiere den Film ausschließlich auf die Kinder. Die Lehrer verschwinden fast, man nimmt sie dann meist nur mehr durch die Ohren der Kinder wahr. Für uns war es eine lange Arbeit des Lernens, um in die - sagen wir - Aura der Kinder einzudringen, ihnen also nahe genug zu kommen, um einen guten Ton zu haben, wo man auch die Nebengeräusche wahrnehmen kann, und um die Welt dieser Kinder in der Schule zu beschreiben, und nicht die Welt der Lehrer.

Der Film "Tableau Noir" ist ein eindrucksvolles Dokument, das ein alternatives, funktionierendes Schulmodell zeigt. Es erinnert an ein ganz ähnliches Projekt des Franzosen Nicolas Philibert ("Sein und Haben") aus dem Jahr 2002 in einer Dorfschule in der Auvergne. Dieser Film, der in Cannes vorgestellt wurde, hat dann einige Preise abgeräumt, auch "Tableau Noir" wurde schon ausgezeichnet- und der Autor Yves Yersin wünscht sich aber vor allem, dass er Diskussionen auslöst.