György Dalos: Wer hat Angst vor Viktor Orban?

Die ungarische Gesellschaft ist schwach und das macht Viktor Orban stark. Der Historiker György Dalos kämpft dagegen an: Dalos war gestern Abend in der Burgtheater-Gesprächsreihe mit Grenzgängern und Grenzdenkern Gast.

Morgenjournal, 5.3.2015

Der Historiker und Publizist György Dalos war gestern Abend in der Burgtheater-Gesprächsreihe "Grenzgänger/Grenzdenker" zu Gast bei Martin Pollack, dem Kurator der Reihe. Das Thema war Ungarn - die Entwicklung im Land von Viktor Orban. György Dalos ist einer der wichtigsten Kulturvermittler zwischen dem deutschen Sprachraum und Ungarn. Anno 1977 gehörte er zu den Gründern der demokratischen Oppositionsbewegung in Ungarn, schon zuvor war er wegen "maoistischer Umtriebe" - wie es hieß - in seiner Heimat mit Publikationsverbot belegt. Seit Mitte der 1980er Jahre lebt György Dalos in Berlin.

"Wäre die Gesellschaft nicht so schwach"

Wer hat Angst vor Viktor Orban? - das war die Frage gestern Abend in Wien im Kasino am Schwarzenbergplatz. "Ich sicher nicht", sagt György Dalos. "Nicht, weil ich ein bisschen alt bin und im Ausland lebe, sondern weil ich glaube, dass Orban überhaupt nicht gefährlich wäre, wenn die ungarische Gesellschaft nicht so schwach wäre." Das Problem sei nicht allein Orban mit seiner Fidesz-Partei, sondern das Klima im Land. György Dalos spricht von einem Kulturkampf, der keinen Gegenstand hat.

"Es gibt keinen Diskurs; es gibt nur Schimpfwörter. Wenn in den Medien jemand als ‚anständig‘ bezeichnet wird, dann hat er keine Chance. Das Wort ‚anständig‘ ist kompromittiert." Künstler und Intellektuelle werden nicht zuletzt auch für die internationale Kritik an Orbans Kurs verantwortlich gemacht und als Verräter beschimpft. Im Land selbst, meint György Dalos, haben sie ihre frühere gesellschaftliche Bedeutung eingebüßt: "Das hängt auch z.B. mit den neuen Medien zusammen, die haben uns ein wenig altmodisch gemacht. Wir schreiben immer noch und vor allem möchten wir Bücher schreiben."

"Eine unversorgte, juckende Wunde"

Wenn jetzt die Regierungspartei Fidesz ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament verloren hat und Demonstrationen gegen Korruption, Sozialabbau und die Steuerpolitik häufiger werden, heißt das nicht, dass die demokratische Opposition dadurch gewinnt - im Gegenteil: Es ist die rechtsextreme Jobbik-Partei, die von den Fehlern der Orban-Regierung profitiert. In den Meinungsumfragen erreicht Jobbik bereits mehr als 20 Prozent. Und über alle Parteigrenzen hinweg grassiere eine Hasskultur, sagt György Dalos.

"Diejenigen, die diese Hasskultur nähren, die wissen nicht, was für Folgen sie haben kann: die Hasswelle gegen die Roma - inklusive der Roma-Morde - und die weniger blutige, aber nicht weniger gefährliche Welle des Antisemitismus. Das ist in Ungarn nicht mehr auszumerzen. Fast alles ist so wie eine unversorgte, juckende Wunde, an der man ständig kratzt."

Die politische Konstellation erinnere ihn an die zwanziger und frühen dreißiger Jahre in Österreich. "Das kann explodieren", so György Dalos. "Es gibt eine Eigendynamik dieser Geschichte, die gefährlich ist. Das ist ein kalter Bürgerkrieg, und wir freuen uns solange es nur kalt ist."

Service

Ein ausführliches Gespräch mit György Dalos gibt es heute im Ö1 "Kulturjournal" um 17.09 Uhr.