Als Wehrmacht und GIs gegen die SS kämpften

Die letzte Schlacht

Am 5. Mai 1945 kam es rund um ein Schloss im Tiroler Brixental zu einem der bizarrsten Gefechte des Zweiten Weltkriegs: Ein wagemutiges Trüppchen aus US-amerikanischen GIs, entlaufenen Wehrmachtssoldaten, österreichischen Widerstandskämpfern und französischen Politikern rund um den ehemaligen Premierminister Édouard Daladier verteidigte Schloss Itter nahe Kufstein in zähem Kampf gegen den Ansturm von etwa einhundertfünfzig SS-Männern. Der amerikanische Militärhistoriker Stephen Harding hat die Geschichte dieses sonderbaren Gefechts penibel rekonstruiert.

Nach mehreren Eigentümerwechseln im Zwanzigsten Jahrhundert sicherte sich Heinrich Himmlers SS 1943 den Zugriff auf das Anwesen. Auf Schloss Itter wurde ein Außenlager des Konzentrationslagers Dachau eingerichtet – zu einem speziellen Zweck: Innerhalb der pittoresken Burgmauern wurden prominente Politiker aus dem besetzten Frankreich inhaftiert. Die SS-Oberen betrachteten die illustren Häftlinge als Geiseln, die man vielleicht später einmal, sofern die politische Lage es gebot, gegen prominente deutsche Gefangene austauschen könnte.

Die letzten Kriegswochen des Jahres 45 brachten allerdings unwägbare Gefahren. Je unübersichtlicher die militärische Lage wurde, umso nervöser reagierten die SS-Besatzer im Schloss. Anfang Mai gingen die Wachmannschaften stiften. Die Gefangenen. blieben allein auf Schloss Itter zurück, was ihre Sicherheitslage paradoxerweise verschärfte: Das Unterinntal war voller fanatisierter SS-Männer: jeder durchgeknallte Kommandeur hätte die prominenten Schlossbewohner erschießen können.

Um nicht in den letzten Kriegsstunden noch ums Leben zu kommen, nahmen die französischen Häftlinge Kontakt zu den vorrückenden Amerikanern und zum österreichischen Widerstand in Wörgl auf – und ersuchten um Schutz. Der wurde ihnen zuteil: in Gestalt eines Häufchens entlaufener Wehrmachtssoldaten rund um Major Josef "Sepp" Gangl. Bald näherten sich erste SS-Kämpfer dem Kastell: Sie hatten Order, die französischen Häftlinge wenige Tage vor Kriegsende noch zu liquidieren. Allerdings erhielten die Verteidiger des Schlosses kompetente Unterstützung. Nicht nur, dass die rüstigen, noch aus dem Ersten Weltkrieg kampferprobten Politiker ebenfalls zu den Waffen griffen, auch zehn US-amerikanische Soldaten, kommandiert von Captain John Lee jr. aus Norwich/New York, waren als Vorauskommando auf dem Schloss eingetroffen, um die französische Polit-Prominenz zu schützen. Am Morgen des 5. Mai, begann der Angriff der SS-Truppen.

Detailliert und in imponierender Faktenfülle rekonstruiert der amerikanische Militärhistoriker Harding das mehrstündige Gefecht, Allerdings sollte man die Bedeutung dieses militärgeschichtlichen Thrillers nicht überbewerten, denn was Harding beschreibt ist ein interessantes Stück Tiroler Regionalgeschichte, mit gewissen Bezügen zur französischen Zeithistorie. Im Gesamtgeschehen des Zweiten Weltkriegs allerdings ist das Ganze bloß eine Marginalie, mehr nicht.

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Stephen Harding, "Die letzte Schlacht - Als Wehrmacht und GIs gegen die SS kämpften", Zsolnay Verlag