Russlands Literat Viktor Jerofejew

Von den einen wird er gefeiert wie ein Pop-Star, für die anderen zählt er zu jenen Autoren, die Russland am meisten geschadet haben. Die Rede ist von Viktor Jerofejew. Heute ist der 67-Jährige eine der bekanntesten literarischen Stimmen seines Landes.

Morgenjournal, 31.3.2015

Viktor Jerofejew ist eine Schlüsselfigur für das Verständnis der russischen Gegenwart. Aufgewachsen zwischen westlicher Welt und Stalinismus - sein Vater war Dolmetscher von Stalin und Botschafter in Paris -, kennt man ihn nicht nur als Autor von Romanen wie "Der gute Stalin", "Russische Apokalypse" und - zuletzt erschienen - "Die Akimuden", sondern auch als kritischen und pointierten Essayisten. Von den einen wird er gefeiert wie ein Pop-Star, für die anderen zählt er zu jenen Autoren, die Russland am meisten geschadet haben.

In Russland beginnt jetzt die Ära der physischen Abrechnung, sagt Viktor Jerofejew. Vor dem Ukraine-Krieg seien die Diskussionen hart gewesen, aber nicht blutig. Jetzt fließt Blut. Er, Jerofejew selbst, könnte das erste intellektuelle Opfer sein.

Viktor Jerofejew ist ein scharfzüngiger Kritiker, der auch im deutschen und US-amerikanischen Feuilleton mit schöner Regelmäßigkeit die russische Gegenwart seziert. Mit dem Mord an Nemzow sei eine rote Linie überschritten worden, sagt Jerofejew und er zieht eine Parallele zur Ermordung Sergej Kirows 1934 in Leningrad - es war damals das Signal für den Beginn des großen Stalinterrors. Bleibt die Frage: Wohin treibt das Russland des Kremls heute?

Demokratie - "ein nie beschrittener Weg"

Ein großer Fehler des Westens war, dass er 13 Jahre lang geglaubt hat, dass Russland auch den europäischen Weg gehen wird, einen Weg in Richtung Demokratie. Man hat gemeint, es geht deswegen alles so langsam, weil es für Russland ein schwieriger Weg ist. Aber tatsächlich wurde dieser Weg nie beschritten, seit dem Beginn der Ära Putin. Wir sind in eine ganz andere Richtung gegangen.

"Es kam die Zeit sich vom Westen abzuwenden, ihm unser wahres Gesicht zu zeigen, das Spiegelbild unseres Hinterteils", schrieb Viktor Jerofejew unlängst in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Und weiter heißt es da: "Putin sei Dank. Er führte die russische Seele in allen Einzelheiten vor. Sei gegrüßt, du unser ursprünglicher Rassismus!"

"Die Geschichte bewegt sich im Kreis"

Vor dem Krieg in der Ukraine hätte ich gesagt, Putin ist liberaler als 80 Prozent der russischen Bevölkerung. Weil er war derjenige, der versucht hat, die ultranationalistischen Tendenzen zu stoppen. Jetzt hat er ihnen die Hand gereicht, sie sind auf der gleichen Seite. Das heißt: Die Propaganda beginnt, die Sprache des Volkes zu sprechen.

Die Gegenwart - das sei jedenfalls "die schrecklichste Zeit bisher in meinem Leben" - sagt Viktor Jerofejew, der zu führenden Köpfen des Establishments ebenso Kontakt hält, wie zur Opposition. Und er weiß: Auch wenn der Kremlchef unter der Bevölkerung hohe Popularität genießt, wichtig ist, wie sich die Eliten zum Präsidenten verhalten.

Das Problem ist dieser russisch-ukrainische Krieg, den auch viele im Kreml nicht wollen. Weil Krieg heißt Blut, Leichen, Isolation und sie sagen natürlich: "Ja, wir stehen hinter Putin, aber ich glaube, dass nicht so viele in den russischen Eliten die Fortdauer dieser Politik wollen", so Viktor Jerofejew, der sich in vorsichtigem Optimismus übt.

Die Geschichte Russlands verläuft nicht linear, sie bewegt sich im Kreis. Nach Stalin war am nächsten Tag Tauwetter, nach Breschnew kam auch ein anderer. Und nach Putin wird die nächste Station der Frühling sein. Eine Art Liberalisierung. Dann wird diese liberale demokratische Opposition das Sagen haben. Wann das sein wird: Nach Putin. Wann "nach Putin" ist, das weiß niemand, auch nicht Putin selbst.

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