Neue Proteste in Brasilien

In Brasilien haben gestern erneut hunderttausende Menschen gegen Korruption und für ein Amtsenthebungsverfahren gegen die amtierende Präsidentin Dilma Rousseff demonstriert. Laut Polizeiangaben nahmen knapp 600.000 Menschen in 24 Bundesstaaten an den Protesten teil, etwas weniger als bei den Demonstrationen vor einem Monat, damals waren es 1,7 Millionen.

Im Zentrum der Proteste steht ein Korruptionsskandal rund um den staatlichen Erdölkonzern Petrobras. Präsidentin Dilma Rousseff von der gemäßigt linken Arbeiterpartei war erst im Oktober 2014 mit hauchdünner Mehrheit wiedergewählt worden.

Morgenjournal, 13.4.2015

Aus Rio,

Unzufriedenheit steigt

Brasilien-Flaggen werden geschwenkt, die Nationalhymne gesungen. Die Mehrheit der Demonstranten trägt auch diesmal wieder die Nationalfarben Gelb und Grün. In 218 brasilianischen Städten fanden Kundgebungen statt gegen die Mitte-Links-Präsidentin Dilma Rousseff. Allein in Sao Paulo nahmen mehr als 200.000 Menschen teil. Sie trugen ein gigantisch zig-Meter langes Stoffbanner mit der Aufschrift „Impeachment“ - Amtsenthebung.



Anlass für die Proteste ist einmal mehr der Korruptionsskandal rund um den halbstaatlichen Erdölkonzern Petrobras. Jahrelang wurden über die Petrobras systematisch Gelder in verschiedene Parteikassen umgeleitet. Vergangenen Freitag erst wurden drei ehemalige Abgeordnete wegen Korruptionsverdachts verhaftet. Gegen 50 Politiker wird ermittelt. Präsidentin Dilma Rousseff verteidigte letzte Woche den Erdölkonzern. Dieser sei bereits gründlich gesäubert worden: Jene, die ihre Positionen ausnützten, um sich persönlich zu bereichern, wurden entfernt. Die Petrobras ist heute gut aufgestellt. Petrobras verteidigen, heißt Brasilien verteidigen.

Nach den Massenkundgebungen vor einem Monat hat die Regierung im Schnellverfahren ein neues Anti-Korruptionsgesetz ausgearbeitet. Das hat die Massen nicht besänftigt. Denn der Korruptionsskandal ist Anlass aber nicht Ursache für die Unzufriedenheit. Brasilien kämpft seit Jahren gegen eine Wirtschaftskrise, die Inflation steigt und auch die Arbeitslosigkeit. Nur noch 13 Prozent der Brasilianer sind der Meinung, die Präsidentin würde gute Arbeit leisten. Auch ihre eigenen Wähler sind verärgert: Die Arbeiterpartei hat ihre eigene Ideologie vergessen. Dilma wurde mit Unterstützung der Linken und der sozialen Bewegungen gewählt. Doch kaum im Amt, hat sie die Rechte der Arbeitnehmer beschnitten. Wirtschaftspolitisch macht sie jetzt genau das, was auch der rechte Gegen-Kandidat Aecio Neves gemacht hätte: Ausgaben kürzen, Steuern erhöhen.

Sie habe Dilma gewählt, weil sie eine linke Politik wollte, erzählt die junge Frau aus Rio de Janeiro. Trotz ihrer Unzufriedenheit nehme sie aber nicht an den aktuellen Anti-Regierungsprotesten teil, erklärt sie: Denn diese werden von rechten Bewegungen organisiert. Die brasilianische Gesellschaft ist in zwei unversöhnliche Lager gespalten: Diese Leute verkraften einfach nicht, dass der konservative Aecio Neves die Wahl verloren hat. Ich teile deren Forderung nicht. Man kann nicht einfach so eine demokratisch gewählte Präsidentin ihres Amtes entheben.

Laut aktuellen Umfragen wünschen sich jedoch 63 Prozent ein Amtsenthebungsverfahren. Tatsächlich gibt es dafür zurzeit keine rechtliche Basis: Dilma Rousseff steht nicht auf der Liste der Verdächtigen im Korruptions-Skandal. Vergangenen Freitag war der 100. Tag ihrer zweiten Amtsperiode. Zu feiern gab es wenig: Die Arbeiterpartei erlebt gerade die schwerste Krise ihrer 12-jährigen Regierungsperiode.