Die "Café Sonntag"-Glosse von Franz Schuh

Flucht

Ich möchte eine Unterscheidung treffen, nämlich die Unterscheidung von Erde und Welt.

Erde in meinem Sinn ist das, worauf Menschen stehen, und wenn sie im fünften Stock eines Hotels auf dem Boden stehen, ahmt der Boden nur die (Halt gebende) Erde nach. Die Menschen haben von der Hüfte abwärts Extremitäten, die die Vermittlung zwischen dem Erdboden und ihnen selbst, also ihren Körpern, bilden.

Ohne Zweifel, die Schwerkraft spielt bei der Bodenhaftung ihre Rolle. Falls die Menschen nicht irgendwo herumkugeln, stehen sie fest - und, ach ja, sie haben unten, am Ende ihrer Extremitäten zwei mehr oder weniger große, halbwegs platte und durch Beinarbeit bewegliche Fundamente. Diese Fundamente heißen auch Füße.

Vor dem Schöpfer habe ich zu viel Respekt, um einen Konstruktionsfehler bei ihm anzumerken. Mit der Evolution allerdings hätte ich verhandelt, ob es nicht besser wäre, anstelle der Füße Saugnäpfe zu besitzen, so dass durch das Saugen dieser Näpfe irgendwie Energie entstünde. "Physikalisch unmöglich", hat Professor Gruber vom Physikkabarett gesagt und daher haben die Leute von Geburt an keine Saugnäpfe, sondern nur Fettnäpfchen, in die sie in einem fort treten.

Auf Erden sind jedenfalls die vielen, vielen Menschen gleich, das heißt: sie sind in ihrem Anderssein gleichberechtigt. Auch wenn sie an manchen Orten einander im Weg stehen, sie alle sind "Erdlinge" und einem wie dem anderen gebührt auf der Erde wirklich jede Stelle, jeder Platz. Jeder Ort. Das kann nicht anders sein, denn manchmal werden Erdlinge Flüchtlinge, und wo sollten die Flüchtlinge denn hin, wenn auf Erden kein Platz für sie wäre?

Menschen haben eine Welt. Ich nenne Welt das, was man im Laufe der Geschichte der nackten Erde abgerungen hat. Menschen haben sich ihre Welt gebildet und in jeder Bildung steckt, schwer von ihr zu unterscheiden, auch Einbildung. Zur Welt gehört, dass Menschen Teile der Erde sich exklusiv – jeweils nur für sich und die Eigenen angeeignet haben: das eigene Land, der eigene Staat, die eigene Nation.

Im Zuge dieser Aneignung (die wahrlich mühevoll und auch mit Rückschritten voranging) kamen den Einheimischen "die Anderen", die eben nicht die Eigenen waren, schnell als Fremde vor. Wenn die Fremden in Not waren und aus fernen Teilen der Erde in unsere Welt kamen, dann rüstete diese Welt - zum Teil - gegen diese Fremden auf: Wir können nicht einfach geben, wofür "wir" gearbeitet haben!

Das ist der Grundkonflikt, der in Varianten ausgetragen wird: Es gibt nämlich - zum anderen Teil - auch der Erdkunde entsprechende Stimmen: Nächstenliebe. Nächstenliebe heißt auf Lateinisch Caritas - Menschen müssen einander helfen, damit die Erde nicht überall das Jammertal wird, aus dem die Fremden geflohen sind.