Filmfestival Crossing Europe

Selten im Jahr ist Europa so greifbar, und selten kann man so gut hineinschauen in diesen Kontinent, wie beim Crossing Europe Festival in Linz. Bis Dienstag werden Arbeiten im Dokumentar- und Spielfilmwettbewerb oder in zahlreichen Spezialprogrammen präsentiert, die sich mit Arbeitswelten oder dem Recht auf Wohnen auseinandersetzen.

Ursulinensaal, OÖ Kulturquartier

CHRISTOPH THORWARTL

Gestern Abend ist die bereits 12. Auflage dieses Festivals des europäischen Films eröffnet worden, bis einschließlich Dienstag werden insgesamt 160 Filme aus ganz Europa präsentiert.

Kulturjournal, 24.4.2015

Neben Filmen, die schon bei den großen Festivals in Cannes, Venedig oder Berlin gelaufen sind, wie etwa Andrei Konchalovskys "The Postman's White Nights" oder Alix Delaportes "Le dernier coup de marteau" (präsentiert in der Schiene European Panorama), sind es in den Wettbewerbsschienen des Festivals traditionell die Erstlings- oder Zweitarbeiten einer jungen Filmgeneration, die in Linz präsentiert werden. Und immer wieder tauchen in diesen Filmen auch jene Themen auf, die den Kontinent im vergangenen Jahr immer wieder beschäftigt haben: Die Wirtschaftskrise etwa, Jugendarbeitslosigkeit oder nicht zuletzt die Flüchtlingspolitik der Festung Europa.

Wenn die Kamera minutenlang die tosende Brandung des Mittelmeers filmt, dann reicht das, um in diesen Tagen und Wochen ein Gefühl des Unbehagens auszulösen: Zwei junge Männer denken dann über Visas und Grenzen nach - die beiden haben es über das Meer nach Europa geschafft. 1.000 Gründe habe es gegeben um aufzubrechen, aber hier angekommen, hätten sie feststellen müssen dass es Grenzen nicht nur zwischen Ländern gibt, sondern auch in den Gesichtern der Menschen, mit ihren ablehnenden Blicken.

Der essayistisch angelegte Dokumentarfilm "Burn the Sea" - produziert von der zuletzt mit einem Dokumentarfilm-Oscar ausgezeichneten Laura Poitras - ist ein Nachdenken über Revolution und Flucht, Freiheit und den Mythos Europa.

Evaporating">https://vimeo.com/83887824">Evaporating Borders : TRAILER from ivarad">https://vimeo.com/ivarad">ivarad on Vimeo.

">https://vimeo.com">Vimeo.

Und auch im Film "Evaporating Boarders" wird, in einem gänzlich anderen Erzählduktus, von einem Flüchtlingsboot berichtet, diesmal vor der Küste Zyperns. Wie ein roter Faden zieht sich das Motiv der Festung Europa durch das heurige Festivalprogramm, aber, so Festivalleiterin Christine Dollhofer: "Der Focus ergibt sich erst im Prozess des Sichtens. Mir geht es in erster Linie um die Qualität eines Films, in zweiter Linie versuche ich thematische Inseln zu bauen, die sich miteinander verknüpfen."

Finanzkrise in Georgien

Eine andere solche thematische Insel ist dabei einmal mehr die Finanzkrise, die in oft sehr persönlichen Geschichten verhandelt wird: Da muss in der bulgarischen Produktion "Urok" eine Volksschullehrerin im Kampf um ihr Haus jene Werte, die sie im Unterricht vermittelt, über Bord werfen. Und in "Line of Credit" wird eine Frau durch Tiflis begleitet: zu Champagnerpartys und Kredithaien, wo unverständliche Verträge vorgelesen werden und wenig später der Kontostand wieder zu Optimismus verleitet. Mit einem ironischen Augenzwinkern erzählt, holt ein kurzes Textinsert am Ende des Films den Zuschauer hinein in die georgische Realität: Zwischen 2009 und 2013 haben dort 170.000 Familien ihr Hab und Gut aufgrund Verschuldung verloren.

Im heurigen Programm finden sich auffällig viele Produktionen aus Osteuropa. Das dortige Filmschaffen sei im Aufschwung, so Christine Dollhofer, ein Filmschaffen, dem man beim Crossing Europe auch die entsprechende Bühne bieten.

Gimme Shelter - Recht auf Wohnen

Ein Schwerpunkt ist heuer dem Thema Wohnen gewidmet - "Gimme Shelter - Recht auf Wohnen". Die Zahlen zur Reihe: Europaweit gibt es Schätzungen zufolge vier Millionen Obdachlose, und elf Millionen leerstehende Wohneinheiten. Und angesichts dessen, klingt es noch viel zynischer, wenn - wie in der Dokumentation "Buy Buy St. Pauli" ein Investor den protestierenden Bewohnern der zentral gelegenen - und 2014 abgerissenen Esso-Bauten - in Hamburg entgegnet: "Wir werden unser Projekt nach betriebswirtschaftlichen Kennziffern richten und nicht nach gesellschaftspolitischen Utopien."

Gentrifizierungsprozessen in Großstädten steht dann immer wieder die bewusste Suche nach alternativen Lebenskonzepten außerhalb der Ballungsräume gegenüber, die in Spielfilmen wie "Hide and Seek" oder Dokumentarfilmen wie der österreichischen Produktion "Von hier aus" verhandelt werden.

Charmant und musikalisch

Christine Dollhofer und ihr Team können dabei bei der Programmierung des Festivals aus dem Vollen schöpfen: Etwa 1400 Filme würden innerhalb der EU pro Jahr produziert werden. Die unterhaltsamsten und charmantesten Produktionen finden sich heuer bei den musikalisch angehauchten Dokumentarfilmen: In "Parcours d'Amour" etwa geht die Liebe durch das Tanzbein, wenn Bettina Blümner Senioren durch Pariser Tanzcafes begleitet. Und mit "Mühlheim Texas" ist Andrea Roggon ein Künstlerportrait gelungen, in dem sie dem Entertainer und Musiker Helge Schneider erstaunlich nahekommt - zugleich aber jene Geheimnisse bewahrt, die diese Kunstfigur so spannend machen.

Parcours">https://vimeo.com/123712767">Parcours d'Amour trailer deutsch from Filmdelights">https://vimeo.com/filmdelights">Filmdelights on Vimeo.

">https://vimeo.com">Vimeo.

Für all jene die, im spannenden wie umfassenden Festivalprogramm die Orientierung zu verlieren drohen, hat sich das Crossing Europe heuer übrigens etwas Spezielles ausgedacht: Sogenannte Discovery-Packages - von Christine Dollhofer ausgewählte Filmpakete zu Schwerpunkten wie "Im Osten was Neues", "Starke Frauen" oder "Für alle ab 16".

Service

Crossing Europe

Übersicht