Film "Gehen am Strand"
Caspar Pfaundler hat dem Zustand des Prokrastinierens seinen dritten Spielfilm gewidmet. "Gehen am Strand" erzählt von der 27-jährigen Studentin Anja, die seit geraumer Zeit "kurz vor der Abgabe" ihrer Diplomarbeit steht und im Angesicht der unlösbar erscheinenden Aufgabe ihr Dasein grundlegend in Frage stellt.
8. April 2017, 21:58
NANOOKFILM
Kulturjournal, 28.4.2015
Prokrastination - "das Verschieben bzw. Aufschieben von anstehenden Aufgaben und Tätigkeiten". So steht es im Duden und so kennen es viele Studenten und Menschen aus der Kreativwirtschaft aus leidvoller eigener Erfahrung. Caspar Pfaundler hat diesem Zustand seinen jüngsten Film gewidmet.
Akribisch drapiert die Protagonistin Anja ihre Birnen in der Obstschale, putzt und poliert die Schuhe auf Hochglanz, bedient Staubsauger und Waschmaschine und beobachtet beim nächtlichen Spaziergang stundenlang fremde Menschen in ihren Wohnungen, während die Zettelstöße und Bücherstapel auf dem Arbeitstisch unberührt bleiben. Eine nicht bezahlte Telefonrechnung legt Handy und Internetverbindung lahm, die Kommunikationslosigkeit verstärkt das tagelange Alleinsein und die Lethargie noch zusätzlich.
Lethargie und Sinnsuche
Weder der Pragmatismus der Mutter noch die teuren Therapiesitzungen können Anjas Ablehnung gegen die Erwartungen an sie Einhalt gebieten. Erst das Begräbnis der Großmutter in Holland, die dortige Wiederbegegnung mit Eltern und Geschwistern und das einsame Gehen am Strand bringen notwendige Impulse für eine Veränderung.
Es ist Casar Pfaundlers dritter Spielfilm nach "Lost & Found" und "Schottentor" und für ihn gleichermaßen der Abschluss einer "Trilogie des Verlorenseins". Die unbeholfene Suche der bald 28-Jährigen nach der Leichtigkeit des Daseins bringt er in langen Einstellungen und teils minutenlanger Stille auf die Leinwand. Die Temporeduktion mag irritieren, für Pfaundler ist das Aufbrechen von Sehgewohnheiten ein Denkanstoß und eine Möglichkeit, zu sich selbst zu finden.
Chronologischer Dreh & improvisierte Dialoge
Dem Film liegt ein detailliertes Drehbuch mit Angaben zu technischen Aspekten, Drehorten und Texten zugrunde. Nur die Schauspieler bekamen es nie zu Gesicht. Er habe ihnen nur kurz vor Drehbeginn die jeweilige Szene vorgelesen oder Anweisungen erteilt, um eine möglichst große Unvoreingenommenheit und Unmittelbarkeit zu erzielen, so der Regisseur. Diese Unmittelbarkeit verlangte allerdings einen chronologischen Dreh und außerdem den Verzicht auf ausgefeilte Dialoge und sprachliche Prägnanz.
"Kein Schauspiel" zum Ziel
In der Hauptrolle debütiert die junge Schauspielerin Elisabeth Umlauft, die Pfaundler bewusst gerade wegen ihrer fehlenden Filmerfahrung besetzte, eine Entscheidung, die ebenfalls dem Wunsch nach Unvoreingenommenheit und möglichst wenig "Schauspiel beim Spiel" geschuldet war.
Neben den Schauspielern, die nicht oder kaum spielen, gehörten ein unauffälliges Filmteam und Drehorte, die nicht als solche ausgeschildert wurden, zu Pfaundlers filmischem Grundkonzept. Keiner der Schauplätze wurde abgesperrt, die Kamera mischte sich einfach unter die anwesenden Menschen, und Pfaundler ließ die so entstandene Spontanität Teil der Dramaturgie werden.
Später Kinostart
Kurze Gesprächsschnipsel zwischen langen Beobachtungen aus der Ferne, Stillleben von verdorrten Pflanzen und faulendem Obst, oder ein Telefon, das auch dann nicht läutet, auch wenn es minutenlang angestarrt wird: Pfaundlers Film verlangt viel Ruhe und Ausdauer von seinem Publikum. Bereits auf der Diagonale 2013 hatte "Gehen am Strand" seine Uraufführung. Dass der Film erst jetzt, mehr als zwei Jahre danach, regulär in die Kinos kommt, erscheint fast wie ein logischer Teil des Gesamtkonzepts.