Die "Café Sonntag"-Glosse von Franz Schuh

Johann Wolfgang Goethe stand gerne vorm Straßburger Münster. Mit übereinander geschlagenen Armen bewunderte er träumerisch das Bauwerk. Es ärgerte ihn, dass - außer ihm - niemand die Pracht wahrzunehmen schien, und als ein Fuhrmann sein Gefährt, ein Liedchen pfeifend, vorüberführte, haute der spätere Klassiker dem Manne eine hinein. Dabei rief Goethe: "Willst du wohl staunen, Flegel!"

Na gut, soweit die Kunst. Die Baukunst - und was ist mit der Natur, insbesondere mit der Tierwelt? Ist nicht auch da staunen geboten? Ich stelle mir einen Zoodirektor vor, der höchstpersönlich ungerührten Gaffern vor den Käfigen eine knallt und dabei ruft: Staunen, ihr Flegel! Aber die Zeit der Schwarzen Pädagogik ist zu Ende und alle Zoodirektoren müssen Süßholzraspeln.

Die Funktion eines Tiergartens ist klar: Menschen sollen Tiere sehen, vor allem Tiere, die von weit her kommen und die einem nicht im Alltag begegnen. Man soll sehen, was in der Tierwelt los ist. Unsere Tierliebe kennt dabei Rangordnungen: Menschen, die vor einer Spinne davon laufen, werden von Glückslust ergriffen, wenn sie im Zoo den Löwen sehen. Gäbe es die Gitter nicht, würde ihnen dieser König zeigen, wo’s langgeht.

Das Verhältnis des Menschen, der ja selbst ein Tier ist, zu den Tieren ist fragwürdig. Was den Schauwert eines hungrigen Löwen steigert, ist der Käfig, durch den man vor ihm sicher ist. Wegen dieser Sicherheit kann man ein gefährliches Tier für schön empfinden. Der Zoo verwandelt eine Gefahr in Schönheit.

Nur Löwen allein wäre kein Zoo, sondern schon eher ein Zirkus. Was der Zoo vor allem gibt, ist ein Einblick in die Vielfalt der Tierwelt. Wie immer man über ein einzelnes Tier staunen mag, der Pluralismus der Arten ist das höchst Staunenswerte! Menschen, die bei all ihrer Vielfalt (gemessen an den Tieren) ziemlich einheitlich existieren, bringen sich mit einer Redewendung wieder ins Spiel. Sie lautet: "Unser Herrgott hat einen großen Tiergarten", was so viel heißt wie: Es gibt viele seltsame Mitmenschen.