Echtzeit-Thriller "Victoria" im Kino

Der Film "Victoria" des deutschen Regisseurs Sebastian Schipper begleitet eine junge Frau auf einem rasanten Trip durch Berlin - an der Schwelle zwischen Nacht und Morgen, mehr als zwei Stunden lang in nur einer einzigen Kameraeinstellung. Das sorgte schon bei der Berlinale für Furore und am Wochenende für gleich sechs Lolas.

Morgenjournal, 24.6.2015

Auf dem Heimweg von einer Berliner Disco trifft die junge Spanierin Victoria auf vier junge Burschen. Sie heißen Sonne, Fuß, Boxer und Blinker und laden sie ein auf einen nächtlichen Streifzug durch ihr Berlin, wie sie sagen. Victoria folgt dem Quartett in eine abenteuerliche Nacht - inklusive Autodiebstahl und Banküberfall -, bei dem sie als Lenkerin des Fluchtautos unverhofft zur Komplizin wird.

Eine Nacht in einem Take

Außergewöhnlich ist vor allem die Machart des Films: Nur eine Kamera bringt die Geschehnisse dieser Nacht in einer einzigen, mehr als zweistündigen Einstellung, ohne Schnitte auf die Leinwand. Regisseur Sebastian Schipper: "Der One-Take gibt dem Zuschauer die Möglichkeit, alles hautnah zu erleben, ohne künstliche Übersteigerung".

Die Kamera wird gleichsam zum sechsten Hauptdarsteller dieses One-Takes und beschert dem Publikum eine ungewöhnliche Nähe zu den Protagonisten. In Echtzeit, zwischen halb 5 und 7 Uhr Früh begleitet sie das Quintett durch das nächtliche Kreuzberg: vom Discokeller auf ein Hochhausdach, von der Tiefgarage, wo der Banküberfall noch rasch geprobt wird, bis zur panischen Flucht vor der Polizei nach der Tat.

Schauspielerische Höchstleistung

Außergewöhnlich ist auch die schauspielerische Leistung der fünf Protagonisten. Für sie sei die Herausforderung sogar noch größer gewesen als für den Kameramann. "Weil sie merkten: dafür, dass ich dann über zwei Stunden mit dieser Figur allein bin, dafür muss ich sie vorher ganz genau kennen lernen", erklärt Sebastian Schipper. "Denn wir wussten, irgendwann geht nachts um 4.20 Uhr die Kamera an und dann muss alles geklärt sein."

Alle Dialoge sind improvisiert, die Energie zwischen den Figuren entsteht direkt am Schauplatz. Mehrmals zwischendurch wird der Originalton ausgeblendet und die stumme Szene mit Musik unterlegt. Das verleiht dem Film poetische und hochdramatische Momente.

Rasante Spirale in ein fulminantes Finale

Trotz Stegreifdialoge und improvisierter Szenen gerät die Handlung bei hohem Tempo dennoch nie ins Stocken. Im Gegenteil: aus den anfangs belanglosen Plaudereien nächtlicher Trunkenheit entwickelt sich nach und nach eine rasante Story mit atemberaubender Sogwirkung und einem fulminanten Finale auf einer einsamen Berliner Straße in der Morgensonne.