69. Festival von Avignon

Die Theaterfestspiele in Avignon haben am Samstag mit einer Neuinszenierung von Shakespeares "Lear" begonnen. Fast 40 Theater- und Tanzaufführungen bietet dieses Festival über fast drei Wochen verteilt. Shakespeare hat für den Festivaldirektor Olivier Py einen besonderen Stellenwert.

Morgenjournal, 4.7.2015

35 Aufführungen und 50. Off-Ausgabe

Mit einer Neuinszenierung von "König Lear" haben im Innenhof des berühmten Papstpalastes die 69. Theaterfestspiele in Avignon begonnen; die größten in Europa überhaupt: 35 Theater- und Tanzaufführungen verteilt über drei Wochen - und dies abgesehen vom Off Festival, das dieses Jahr seinen 50. Geburtstag feiert und jedes Jahr hunderten Truppen und Schauspielern die Gelegenheit gibt, vielleicht den großen Sprung zu schaffen.

Im offiziellen Programm, das gegenüber der letzten Ausgabe um zwei Tage verkürzt werden musste, hat der Regisseur Olivier Py, seit letztem Jahr neuer Direktor der Festspiele von Avignon, Shakespeare einen besonderen Platz eingeräumt und eine Reihe namhafter Schauspieler/innen gewinnen können.

Olivier Py - nach dem legendäre Gründer Jean Vilar, erst der zweite Künstler überhaupt, der dieses Festival leitet - ließ es sich nicht nehmen, in seiner zweiten Saison selbst Shakespeares "Lear" im Innenhof des Papstpalastes zu inszenieren: "Ich habe den Text 30 Jahre lang gelesen und wieder gelesen, hab ihn übersetzt, eine Übersetzung in schnellem Rhythmus, ein Versuch, die Energie der Musik in Shakespeares Text zu transportieren. Der Text erzähl uns auf ganz außergewöhnliche Art, was das 20. Jahrhundert war: das gewaltsamste, das schlimmste, das dunkelste, das verzweifeltste."

Ostermeier inszeniert "Richard III."

Im Operntheater von Avignon dann das zweite große Shakespeare-Stück: Thomas Ostermeier, ein alter Vertrauter des Festivals, mit seiner Inszenierung von "Richard III.". Wie schon fast traditionell in den letzten zwei Jahrzehnten, fehlt auch das deutschsprachige Theater nicht: Der polnische Starregisseur Krystian Lupa, erstmals in Avignon, bietet eine Bühnenfassung von Thomas Bernards Roman "Holzfällen" in der neuen Probe- und Spielstruktur La Fabrica und der junge, vielversprechende französische Regisseur Benjamin Porée versucht sich an Botho Strauß' "Trilogie des Wiedersehens".

Isabelle Huppert und Fanny Ardant

Zwei Zugmaschinen, zwei weibliche Film- und Bühnenstars, sind ebenfalls im Programm, wobei schon vorab kritisiert wurde, dass man den prominentesten Ort, den Innenhof des Papstpalastes, für eine einfache Lesung zur Verfügung stellt: Isabelle Huppert lies dort aus Marquis de Sade; Fanny Ardant stellt ihre Stimme in der Sprechoper "Kassandra", nach dem Stück von Christa Wolf, zur Verfügung, inszeniert vom Leiter des Festivals, Olivier Py.

Welttheater mit Schwerpunkt Argentinien

Nach Griechenland im letzten Jahr setzt Py heuer einen argentinischen Schwerpunkt: Geladen sind drei Regisseure aus dem südamerikanischen Land. Wie immer ist Avignon Welttheater: Die estnische Truppe NO 99 aus Tallin ist präsent - mit vielen Vorschusslorbeeren bedacht; hochkarätige Tanzspektakel aus Afrika wird es geben. Das Mittelmeer ist vertreten durch Winter Family aus Tel Aviv mit dem Stück "No World" - eine gnadenlose Kritik unserer westlichen Gesellschaften; sowie durch den ägyptischen Regisseur Ahmed el Attar. Sein Stück erzählt im Hintergrund die Geschichte der Revolution in Kairo, die noch nicht beendet ist.

Mit besonderer Spannung erwartet man in diesem Kontext die Theaterfassung eines Romans des algerischen Autors Kamel Daoud, der 2014 fast den Goncourt-Preis für "Meursault - die Gegenrecherche" bekommen hatte, darin erzählt er die Handlung von Camus Roman "Der Fremde" aus Sicht eines Algeriers.

Dem Entstehen und der Entdeckung verschrieben

Olivier Py will ein Festival, in dem das Publikum möglichst 70 Prozent der Namen der Regisseure nicht kennt. "Das Publikum wird dieses Jahr noch stärker als bisher ein Festival erleben, dass sich dem Entstehen und der Entdeckung verschrieben hat. Es gibt 38 Stücke - 31 werden von Künstlern inszeniert, die noch nie in Avignon waren", betont der Festivalleiter.

Beachtenswert ist, dass gleich vier hochkarätige Ausstellungen dieses Jahr das Festival begleiten werden: darunter eine über das Lebenswerk von Patrice Chereau. Eine echte Neuerung ist das sogenannte "Kirchenschiff der Bilder", das frei zugänglich in der Chapelle de Celestin installiert wurde: "Eine Art permanentes Videokino, wo von morgens bis abends der gesamte Schatz der Videoarchive des Festivals von Avignon aus sechs Jahrzehnte gezeigt wird", sagt Olivier Py.

Doch selbst diese weltberühmten Festspiele kommen heuer um Budgetkürzungen nicht herum: Die Spieldauer wurde um zwei Tage verkürzt und gleich fünf Spielstätten werden von der Gemeinde Avignon diesmal nicht mehr zur Verfügung gestellt.

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