Kirchner inszeniert "Borkman" in Reichenau

Einen korrupten Bankier hat Henrik Ibsen zur Hauptfigur seines Dramas "Gabriel Borkman" gemacht, und das sorgt dafür, dass das Stück in den letzten Jahren immer wieder als aktueller Kommentar zur Wirtschaftskrise auf den Spielplänen der deutschsprachigen Theater zu finden war. Bei den Festspielen Reichenau zeigt man es heute als letzte der vier großen Theaterpremieren. Alfred Kirchner führt Regie. In den Hauptrollen sind Martin Schwab, Regina Fritsch und Julia Stemberger zu sehen.

Mittagsjournal, 6.7.2015

Die Geschichte des Bankier Borkman, der durch Unterschlagungen und Spekulationen seine Familie und viele Menschen in den Ruin getrieben hat, und nun nach Gefängnis und selbstgewählter Isolation in seinem Haus auf Rehabilitierung hofft, ist schon oft erzählt worden und auf sehr unterschiedliche Art. Da gab es in den letzten Jahren eine zwölfstündige monströse Orgien Version von Vegard Vinge in Berlin, eine solid-kühle Josefstadt-Aufführung mit Helmut Lohner, eine Zombiefassung von Karin Henkel in Hamburg, die zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, oder eine zeitgemäße Neuschreibung von Simon Stone bei den Wiener Festwochen.

"Die ganze Kultur der mitteleuropäischen Welt"

Das Stück zur Stunde heißt es, auch wenn mancher Kritiker meint, Ibsens "Borkman" sei mit den Jahren nicht aktueller, sondern nur ranziger, aber auch komischer geworden. Komödie oder Tragödie - in Reichenau nimmt man Ibsens Stück auf jeden Fall sehr ernst, denn für Regisseur Alfred Kirchner ist es vor allem ein abendländisches Stück, das die ganze Kultur der mitteleuropäischen Welt enthält:

"Ich nennen hier die Nibelungensage, ich erinnere an Alberichs Fluch, der die Liebe verflucht hat, und nur noch dem Geld, dem Gold sich verschrieben hat, Nietzsches ‚Wille zur Macht‘, Lenin, der die ganze Welt verändern wollte und in einer äußersten Pleite gelandet ist, man sieht Beckett und Ionesco und Shakespeare und Faust. Vieles ist in dem Stück enthalten", so Kirchner.

Im düster-beklemmenden Ambiente, in der man eher erstickt als erfriert - siedelt Kirchner seine Inszenierung mit leicht adaptierter Textfassung an, und gibt vor allem dem Schwesternkonflikt viel Raum. Den heiß umstrittenen Sohn Erhard mimt Stefan Gorski, Regina Fritsch und Julia Stemberger sind Gunhild und Ella.

Stammregisseur Alfred Kirchner

"Die Figuren sind archaisch und nicht Mütterchen und Väterchen und Omas, die hier herumsitzen, sondern antike Figuren", betont der Regisseur. Alfred Kirchner, Jahrgang 1937 gehört mit Claus Peymann, Peter Zadek oder Peter Stein jener Generation an Regisseuren an, die das deutsche Theater der siebziger Jahre gestaltet und geprägt haben. Er war Oberspielleiter unter Peymann und gehörte dem Viererdirektorium des Berliner Schillertheaters an, das 1993 schließen musste. In den letzten Jahren hat er sich eher aufs Inszenieren von Opern spezialisiert, auf deren Erfolge er gern verweist - in Reichenau gehört er zu den Stammregisseuren.

"Es sind ganz große Schauspieler, die uns hier zur Verfügung stehen, und die in unserer gemeinsamen Arbeit auch von mir immer wieder gesagt bekommen, was sie können und das hat sich einigermaßen hervorragend eingelöst", so Kirchner. Wie sich sein Versprechen für Publikum und Kritik einlöst, wird die heutige Premiere von "Bankier Borkman" in Reichenau zeigen.

Service

Festspiele Reichenau - Bankier Borkman

Übersicht