Roman von Johannes Bobrowski

Levins Mühle - 34 Sätze über meinen Großvater

Der 1917 in Tilsit geborene und 1965 in Berlin verstorbene Erzähler und Lyriker Johannes Bobrowski zählte zu den bedeutendsten deutschsprachigen Autoren der Nachkriegszeit. Anlässlich seines 50. Todestags ist sein 1964 erschienenes Buch "Levins Mühle" neu herausgekommen.

Gezeichneter Vogel

VERLAG KLAUS WAGENBACH

"Einer der großen Romane des 20. Jahrhunderts, die Neuauflage (...) ist ein dringend notwendiger Glücksfall"

Service

Johannes Bobrowski, "Levins Mühle - 34 Sätze über meinen Großvater", Roman, Wagenbach Verlag

Johannes Bobrowskis komplexe Biografie und damit auch sein Schreiben ist den geopolitischen Rösselsprüngen des 20. Jahrhunderts geschuldet. Die Orte der Kindheit und Jugend - Tilsit, Königsberg, das Memelland - gehörten zu Ostpreußen, das nach 1945 teils sowjetisch, teils polnisch wurde. Nach sowjetischer Kriegsgefangenschaft kehrte er 1949 nach Berlin zurück, blieb im Ostteil, arbeitete als Verlagslektor und Schriftsteller. Ideologisch hat sich Bobrowski nie festmachen lassen, weder unter den Nazis noch in der DDR; ein getrenntes Deutschland wollte er bis zu seinem Tod nicht akzeptieren. In seinen Texten geht es oft um die Heimat, die ihm verloren gegangen war, wie übrigens auch dem kürzlich verstorbenen Siegfried Lenz.

Levins Mühle

Die 34 Sätze markieren einen archaischen Zug mündlichen Erzählens mit seinen Mäandern und Umständlichkeiten, sie machen aber gleichzeitig den ganz modernen Zug dieses Romans aus: Das Erzählen wird problematisiert und reflektiert, allerdings nicht experimentell und konstruktivistisch, sondern spielerisch aus dem Erzählduktus entwickelt. Man bekommt einen Roman zu lesen, der unerhört modern ist - vor allem, wenn man bedenkt, dass er vor einem halben Jahrhundert in der DDR erscheinen ist -, der sich aber gleichzeitig bis in die Sprache des Erzählers hinein in eine untergegangene Welt begibt.

In einem kleinen Kaff an der Drewenz, einem Nebenfluss der Weichsel, im Sommer 1874: Dort hat der Großvater des Erzähler-Ichs, der stolze Älteste der Baptistengemeinde, eine Mühle - eine übliche Lohnmühle - die Bauern lassen bei ihm mahlen und zahlen dafür. Doch das Geschäft geht nicht mehr so gut, denn aus Russisch-Polen ist der Jude Levin aufgetaucht und hat eine zweite Mühle gebaut: eine Verkaufsmühle, das heißt, die Bauern verkaufen ihm ihr Getreide und bekommen sofort Geld dafür; in Zeiten der Geldknappheit das attraktivere Geschäftsmodell. Also hat der Großvater einen Stausee angelegt und eines Nachts kurzerhand die Schleusen geöffnet, um Levins Mühle wegzuspülen.

Mit seinem Roman wollte Bobrowski keine Geschichte erzählen, sondern das Modell des Kolonialismus vorführen: mit seinen Amts- und Gerichtsmechanismen, seinen Vorurteilen gegen sogenannte "Fremdvölker" und natürlich gegen Juden und Roma. Es zeigt vor allem eines: dass die rassistischen Schablonen älter und tiefer verwurzelt sind, als ein oberflächlicher Antifaschismus glaubt, und dass sie den Nationalsozialismus gut überlebt haben, wie der Blick auf die Gegenwart zeigt.