Von Budapest über Wien nach Deutschland

Hunderte Flüchtlinge und Migranten sind gestern in überfüllten Zügen aus Budapest durch Österreich bis nach Deutschland gereist. Durch den überraschenden Abzug der Polizei von Budapests großen Bahnhöfen konnten sie zunächst mehrere Züge nach Österreich stürmen. Vom Grenzübergang bei Nickelsdorf haben die ÖBB dann teils in Sonderzügen den Weitertransport ermöglicht. In Wien wurde den Flüchtlingen ein ungehindertes Umsteigen in Züge Richtung Deutschland ermöglicht.

Flüchtlinge laufen zum Zug

EPA/TAMAS KOVACS

Morgenjournal, 1.9.2015

3.650 Flüchtlinge sind alleine am Montag aus Ungarn kommend am Westbahnhof eingetroffen. Lediglich sechs Afghanen hätten einen Asylantrag gestellt, so die Polizei. Der Rest sei bereits in Zügen Richtung Salzburg und Deutschland weitergereist. Anfänglich hatte die Polizei von 2.000 Migranten gesprochen, ihre Angaben dann aber aktualisiert.

Westbahnhof als Durchgangsstation

„Almanya, Germany.“ So einfach war es noch nie für so viele Menschen, ohne EU-Aufenthaltsbewilligung, Richtung Deutschland zu reisen. Almanya, Germany – hier geht´s nach Deutschland, rufen ÖBB-Security-Mitarbeiter und spontane Helfer am Wiener Westbahnhof. So animieren sie die Flüchtlinge und Migranten zum Umsteigen aus einem Zug, der nicht mehr weiter fährt in einen Zug nach Salzburg.

„Es ist jetzt sehr einfach. Du kannst auch ganz ohne Papiere aus Ungarn nach Österreich.“ sagt ein junger Mann am Bahnhof, er ist Syrer aus Damaskus erzählt er. Und im Wien am Bahnsteig, wo dann alle umsteigen und der Zug nach Salzburg bald überfüllt ist, gibt´s mit der Polizei auch kein Problem, ein paar Polizisten schauen zu. Im Trubel gehen zwei Kinder verloren – vorübergehend. Karl Parisot, ein Helfer, der spontan zum Bahnhof gekommen ist, sagt, das Kind wurde im Zug aufgerufen und konnte dann der Mutter übergeben werden.

Applaus brandet auf, die weinende Mutter beruhigt sich. Dann steigt auch diese Familie ein – darf in den erste Klasse Waggon, weil sonst schon alles überfüllt ist. In Österreich will offenbar kaum jemand bleiben: „Meine Freunde haben mir gesagt, bleib nicht in Österreich. Die bringen dich irgendwo hin, haben keine guten Lager und geben dir kein Taschengeld, also wie soll ich dann leben.“

Wie schon zuvor im Zug zum Wiener Westbahnhof sind viele Kinder unterwegs, Menschen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan, Muslime aber auch Christen und Einige, die wohl kaum reale Chancen auf Asyl haben. Am Bahnhof meint einer verblüffend ehrlich: „Ich bin aus Pakistan aber ich habe 5 Jahre in Griechenland gelebt.“ „Wir sind aus Syrien, aus Kobane, wir fahren nach Hamburg“, sagt ein anderer. Und auf die Flüchtlingswelle folgt wieder eine Welle der Hilfsbereitschaft. Mehr als 50 private Helfer verteilen auf den Bahnsteigen Wasser, Essen und Windeln. Für den Aktivisten Kurto Went ist es ein historischer Tag: sie fahren nach München. Das ist wie der Fall der Berliner Mauern.

Nur einzelne am Bahnhof schauen skeptisch, kaum einer von einer von ihnen will ins Mikrofon sprechen – einer aber traut sich so richtig: Muslime sollte man verjagen aus Österreich, das sage ich obwohl ich Ausländer bin aus Polen.

Verjagt wird wohl niemand, aber vielleicht abgeschoben aus Deutschland. Am Ticketschalter kaufen junge Männer Fahrkarten, wie die meisten Asylsuchenden. Einer zeigt eine kleine Quetschung am Arm. Polizisten in Ungarn hätten ihn mit Gewalt gezwungen, einen Fingerabdruck zu hinterlassen. Den könnte Deutschland als Basis für eine Abschiebung nutzen. Auch wenn die Reisefreiheit gestern grenzenlos war, außer für Syrer sind Abschiebungen nach dem Dublin-Vertrag noch möglich.

Hunderte Migranten haben übrigens keinen Anschlusszug nach Deutschland mehr erwischt und die Nacht am Westbahnhof in einem von den ÖBB zur Verfügung gestellten Zug und einem leerstehenden Bürogebäude verbracht.