Stefan Zweigs brennendes Geheimnis
Stefan Zweig hatte eine geheime Passion: Er war Exhibitionist - praktizierender Exhibitionist. Das enthüllt nach jahrelanger, penibler Recherche der Wiener Literaturkritiker Ulrich Weinzierl in seinem neuen Buch "Stefan Zweigs brennendes Geheimnis" - eine zugleich diskrete wie gnadenlos offenherzigen Studie.
8. April 2017, 21:58
FISCHER VERLAG
Morgenjournal, 19.9.2015
Der Wiener Literaturkritiker Ulrich Weinzierl gehört zu den angesehensten Kulturjournalisten Österreichs. Viele Jahre lang war er für die "Frankfurter Allgemeine" und die Berliner Tageszeitung "Die Welt" tätig. Daneben hat Weinzierl vielbeachtete Bücher über Alfred Polgar, Hugo von Hofmannstahl und Arthur Schnitzler veröffentlicht. Ende September wird der 61-Jährige im Zsolnay-Verlag ein neues Buch herausbringen, das schon jetzt für heftiges Rumoren im Literaturbetrieb sorgt: "Stefan Zweigs brennendes Geheimnis". Ulrich Weinzierl enthüllt da auf 280 Seiten - nach jahrelanger, penibler Recherche - dass der große österreichische Schriftsteller Stefan Zweig eine geheime Passion hatte: Er war Exhibitionist - praktizierender Exhibitionist.
Weinzierls Enthüllungen
Man wird die Geschichte der Wiener Moderne nach Ulrich Weinzierls Enthüllungen nicht neu schreiben müssen, das nicht, aber ganz vorbeigehen an den delikaten Rechercheergebnissen des angesehenen Kulturpublizisten wird man in Hinkunft auch nicht können, wenn es um die Wiener Belle Epoque und Stefan Zweigs Rolle in einer der glanzvollsten Epochen der österreichischen Hauptstadt geht. Stefan Zweig, das arbeitet Weinzierl in seiner Studie heraus, war nicht nur ein Erotomane von Gnaden, ein unersättlicher Frauenverbraucher, der auch schwulen Intermezzi hinter Praterbüschen nicht abgeneigt war, nein, der Autor von Welterfolgen wie der "Schachnovelle" und den "Sternstunden der Menschheit" frönte auch einem Laster, das seinerzeit wie heute mit dem Nimbus des Lächerlichen und Verächtlichen behaftet war beziehungsweise ist: Stefan Zweig war Exhibitionist.
"Als ich drauf gestoßen bin, hab ich mir gedacht: entweder oder. Entweder kann man's nicht beweisen, und es ist ein bloßes Gerücht oder üble Nachrede, dann soll man’s auch nicht weiter kolportieren. Wenn es aber richtig ist, wenn es zutrifft, dann muss man es einmal genauer darstellen", so Ulrich Weinzierl. Und das tut er in seinem Buch.
Tagebucheinträge und Fremdzeugnisse
Anhand von Fremdzeugnissen und Zweigschen Tagebucheinträgen, die, nimmt man alles nur in allem, keinen Zweifel offenlassen, weist Weinzierl nach, dass Stefan Zweig auf jeden Fall bis zum Jahr 1915, wahrscheinlich aber auch später, durch Wiener Park- und Gartenanlagen zu streunen pflegte und Passantinnen mit der Entblößung seines Geschlechtsteils erschreckte. Zu den bevorzugten Jagdgebieten des Schriftstellers zählten der Liechtensteinpark, der Stadtpark, der Schönbornpark und der Schlosspark von Schönbrunn.
"Stefan Zweig hatte nicht nur eine Neigung, das wäre verharmlosend, das war ein Zwang", betont Ulrich Weinzierl: "Exhibitionismus betreibt man nicht aus Jux und Tollerei - sondern man kann nicht anders." Im Exhibitionismus - so skurril dieses Laster auf Außenstehende auch wirken mag - steckt immer auch ein Stück Sadismus, weiß der Autor: "Es ist sozusagen die Beziehung zwischen einem unbekannten Opfer und einem Täter. Das heißt: Er versetzt in Schrecken. Er schlägt meistens junge Mädchen in seinen Bann. Sie müssen hinschauen. Das Schlimmste ist, wenn sie ihn auslachen. Das heißt: Dieses Machtspiel ist das, wovon man nicht lassen kann."
"Thomas Mann hat ihn verachtet"
Schon zu Stefan Zweigs Lebzeiten haben Weggefährten, Freunde und auch seine erste Frau Friderike vom sorgsam verheimlichten Laster des Dichters gewusst. Dass Hugo von Hofmannsthal eine fast schon körperliche Aversion gegen Stefan Zweig hatte, hängt Weinzierls Einschätzung nach ebenso mit den exhibitionistischen Zwängen des Schriftstellers zusammen wie die Reserviertheit Thomas Manns ihm gegenüber: "Thomas Mann, da gibt es dieses Zeugnis, hat das wirklich gehört und gewusst. Und da ist auch so eine nach außen hin eine höfliche, kollegiale Beziehung gewesen - man hat sich gegenseitig Autografen geschenkt, man hat höflich miteinander korrespondiert - aber in Wirklichkeit hat er ihn auch verachtet."
Fernab wohlfeiler Sensationshascherei arbeitet Ulrich Weinzierl in seiner zugleich diskreten wie gnadenlos offenherzigen Studie die psychodynamischen Mechanismen heraus, die Stefan Zweig auch in künstlerischer Hinsicht antrieben. Am Ende seines Buchs zitiert er, was Zweig in seinem Casanova-Essay über den venezianischen Verführer zu sagen wusste: "Die Unsterblichkeit weiß nichts von Sittlich und Unsittlich, von Gut und Böse ... Moral ist ihr nichts, Intensität alles." Stefan Zweig wusste, wovon er da schrieb.
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Ulrich Weinzierl, "Stefan Zweigs brennendes Geheimnis", Zsolnay-Verlag, Wien, 288 Seiten