Buchpreisgewinner Witzel im Gespräch

Frank Witzel ist gestern für seinen Roman "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden - ein "genialisches Sprachkunstwerk" lobte die Jury. Ein Gespräch über die Idee dazu, die Rolle des Soundtracks und über das 15 Jahre währende "Komponieren" an diesem Werk.

Frank Witzel

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Kulturjournal, 13.10.2015

Christine Watty

Ein "im besten Sinne maßloses Romankonstrukt", eine "Mischung aus Wahn und Witz", ein "hybrides Kompendium aus Pop, Pop, Politik und Paranoia": So versucht die Jury des Deutschen Buchpreises jenen 800-Seiten-Roman zu charakterisieren, mit dem Frank Witzel die deutsche Nachkriegszeit zu fassen versucht. Dafür wurde er gestern Abend mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet - eine Entscheidung, die viele überrascht hat. Einzig der österreichische Autor Clemens Setz hat gleich in mehreren Interviews - auch Ö1-"Intermetzzo" - vorhergesagt, dass Witzel der neue Buchpreisträger sein würde.

"Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" ist ein Buch über die Bundesrepublik Deutschland, in dem Witzel in einer Vielzahl von Episoden und Fragmenten die Nachkriegszeit aus der Sicht eines Dreizehnjährigen schildert - und deren popkulturelle Umbrüche. Witzel ist nicht nur Autor, sondern auch als Musiker und Illustrator hervorgetreten - was wiederum Auswirkungen auf die Literatur des 60-Jährigen hat.

In einem Interview sagten Sie über den Roman, es sei im Wesentlichen der Versuch, sich an die Zeit mit dreizehneinhalb zu erinnern, auch an den damaligen Blick auf die Umwelt, in die diverse politische Ereignisse fielen. Warum wollten Sie sich genau an diese Zeit erinnern?

Witzel: Es war eine Zeit, in der ich Teenager war, und mir ist aufgefallen, dass es eine Zeit war, die gesellschaftliche Umbrüche hatte. Das geschieht jedem Teenager mehr oder minder so, dass er sein eigenes Leben auf der Folie der Historie oder der gesellschaftlichen Umbrüche, die in der Zeit gerade passieren, sieht. Wenn heute ein Teenager dreizehneinhalb ist, ist das bestimmt auch eine sehr spannende, interessante Zeit. Damals aber kommt noch etwas Eigenes hinzu: Man wusste selbst noch nicht genau in der Historie, wie man mit solchen Veränderungen und Umbrüchen - vor allen Dingen Umbrüchen, die aus der Jugendbewegung oder der Studentenbewegung kamen -, wie man mit denen umgehen soll.

So gab es auf der einen Seite dieses starre Beharrungsvermögen der 50er-Jahre, auf der anderen Seite gab es schon das Neue, und dazwischen befindet sich dieser Teenager, der noch viel stärker - einfach dadurch, weil er nicht selbst agieren kann, weil er in die Schule geht, weil er im Elternhaus ist - in dem Alten verhaftet ist, und er sieht das Neue schon.

"Der Buchpreis gebührt diesem Buch, weil es ein genialisches Sprachkunstwerk ist, das ein großer Steinbruch zugleich ist, ein hybrides Kompendium aus Pop, Politik und Paranoia", hieß es in der Jurybegründung. Das spielt auch auf die unterschiedlichen Perspektiven an, die Sie in diesem Buch einnehmen, und die in diesem Buch aufgezeigt werden. Das muss doch besonders berührend für Sie sein, weil das auch 15 Jahre dauerte, bis es fertig war. Wie haben Sie denn dieses Werk gebastelt, gebaut oder zusammengesetzt?

Witzel: Ich hatte am Ende so viel Text angesammelt, dass ich dann die letzten Jahre nur noch damit verbracht habe, diese Texte auch umzuschreiben. Ich habe bis zuletzt neue Kapitel geschrieben, neue Szenen erfunden, aber im Wesentlichen war es dann doch eine Art komponieren. Ich habe genau gespürt, was jetzt kommen muss als nächstes Kapitel, welche Art von Textform oder von Erzählform dorthin gehört. Der Humor spielt eine große Rolle, aber es gibt auch sehr ernsthafte oder manchmal den Leser herausfordernde reflektorische Passagen.

Sie sind selbst auch Musiker. Welche Rolle spielt im Buch der Soundtrack, die Popkultur?

Witzel: "Sie spielt eine ganz wesentliche Rolle, weil der Widerstand oder das Neue, das kam ja über einen Sound. Das kam über das Radio, über die Songs, über die Platten, die man erst sehr spärlich hatte, und deswegen hat sich diese Veränderung wirklich zuerst als Musik angekündigt. Vielleicht ging es mir in dem Buch auch deshalb vor allen Dingen darum, auch wieder einen Sound zu erzeugen. Das ist mir eigentlich erst so im Laufe der letzten Arbeiten daran klar geworden, dass ich immer unzufrieden war, wenn etwas fehlte, weil es ging mir eher um den Sound, und da es ohnehin nicht linear erzählt wird - es gibt viel Handlung, aber keinen richtigen Plot -, ist das das bestimmende Element des Romans."

Bei der Preisverleihung haben Sie der Jury gratuliert, sich mit dem Preis einem Außenseiter zuzuwenden. Nun sind Sie im literarischen Establishment angekommen. Was machen Sie denn jetzt?

Witzel: "Da bin ich völlig überfragt. Ich sehe mich immer noch als Außenseiter. Die Aufmerksamkeit, die jetzt vor allem auf das Buch kommt, die empfinde ich als eine wunderbare Chance, was dann kommen wird, kann ich beim besten Willen nicht sagen, da fehlt mir die Fantasie in diesem Moment."