Opernfest '55

Vor 60 Jahren, am 5. November 1955, war es endlich soweit: nach zehnjähriger provisorischer Unterbringung im Theater an der Wien und in der Volksoper nahm die Wiener Staatsoper mit einem Opernfest ihren Spielbetrieb im Haus am Ring wieder auf.

Dabei handelte es sich um weit mehr als die Inbetriebnahme eines wiederhergestellten Gebäudes nach Beseitigung kriegsbedingter Schäden; es war ein symbolischer Akt für das wiedererstandene, freie Österreich.

Zeitungsausschnitt, Karl Böhm

"Radio Österreich", Dokumentationsarchiv Funk

Schon am Bau des 1869 eröffneten Hauses hatte die Wiener Bevölkerung regen Anteil genommen und die Entstehung des Prachtbaus zuerst mit Enthusiasmus, später mit Kritik begleitet. Dessen ungeachtet wurde das Opernhaus zum zentralen Symbol des musikalischen Wien; seine Zerstörung gegen Ende des Zweiten Weltkriegs traf nicht nur die Musikfreunde mitten ins Herz. Nur so ist es zu erklären, dass in Zeiten größter Not bereits 1946 damit begonnen wurde, die Ruine der Staatsoper freizulegen, zu sichern und bald darauf den Wiederaufbau am gleichen Platz und nach dem Vorbild des alten Hauses in Angriff zu nehmen.

Böhm, Kubelik oder Knappertsbusch

Auch die internationale Presse warf anno 1955 einen Blick nach Wien: Staunend und bewundernd stellte das Ausland fest, dass sich Österreich für die Eröffnung eines Opernhauses mit einem Glanz umgab, der in keinem Verhältnis zur politischen Machtposition des Landes stand. Neuproduktionen von "Fidelio", "Don Giovanni", "Die Frau ohne Schatten" und "Wozzeck" (unter Karl Böhm), von "Die Meistersinger von Nürnberg" (unter Fritz Reiner), "Aida" (unter Rafael Kubelik) und "Der Rosenkavalier" (unter Hans Knappertsbusch) standen auf dem Programm. Von "Sternstunden der Musik" sprachen die Berichterstatter im Hinblick auf die Festaufführungen, von einer "Wabe klingender Träume" im Hinblick auf das baulich und akustisch gelungene Haus, von der "Musical Coronation" wieder im Hinblick auf das Opernfest.

Zeitungsausschnitt, Karl Böhm

"Radio Österreich", Dokumentationsarchiv Funk

"Fest der versäumten szenischen Möglichkeiten"

Es war ein gesellschaftlich hochrangiges, für das Image des Landes enorm wichtiges Ereignis - allerdings mit Schönheitsfehlern: Zum einen wurden die horrenden Eintrittspreise von bis zu 5.000 Schilling beklagt, womit die "breite Masse" zu "Zaungästen" degradiert wurde, obwohl die Bausumme von 260 Millionen Schilling vor allem durch Steuereinnahmen aufgewendet worden war; zum anderen die künstlerische Bilanz, insbesondere in szenischer Hinsicht. Direktor Böhm hatte es versäumt, Regisseure von Rang einzuladen; die Möglichkeiten der damals modernsten Bühnentechnik Europas wurden bei der Eröffnung so gut wie nicht genutzt. Bald schon wurde von einem Opernfest "der versäumten szenischen Möglichkeiten" gesprochen, doch der eigentliche Katzenjammer sollte erst folgen.

Die Stars der Festaufführungen reisten ab und sogar der Operndirektor verabschiedete sich, um Auslandsgastspiele zu geben. Karl Böhm hatte zwar zuvor bekundet, dass das Niveau eines Opernhauses nach dem Tagesrepertoire zu messen sei, genau dafür hatte er aber nicht gesorgt. Mit den Eröffnungsopern allein war kein Spielplan zu bestreiten, also wurden ältere Produktionen aus dem Theater an der Wien ins Haus am Ring übernommen.

Techniker in der Wiener Staatsoper

"Radio Österreich", Dokumentationsarchiv Funk

Direktor Karajan folgte auf Böhm

Viele Einstudierungen, mit denen man im kleinen Haus an der Wien auf großartige Weise Staat hatte machen können, wirkten nun auf der großen Staatsopernbühne dürftig und behelfsmäßig. Unmut machte sich unter den Opernfreunden breit. Als Karl Böhm nach drei Monaten Absenz nach Wien zurückkehrte, bekam er den Unmut des Opernpublikums zu spüren - seine Demission war die Folge.

Herbert von Karajan trat als Böhm-Nachfolger die Direktion an und etablierte das Theater der gastierenden großen Stars an der Wiener Staatsoper. Nachfolgende künstlerische Leiter des Hauses ließen zwar in unterschiedlichen Ansätzen auch immer wieder den "alten" Ensemble-Gedanken aufleben, ein vollkommenes Zurück sollte es aber nicht mehr geben. Trotz großem Ensemble ist die Wiener Staatsoper seit der Karajan-Zeit eine Bühne, auf der regelmäßig die internationalen Größen der Opernwelt zu Gast sind.