Autor Robert Harris im Interview

"Dictator", der dritte und letzte Teil Robert Harris' Cicero-Triologie, liegt nun auf Deutsch vor. Ö1 hat mit dem britischen Journalisten und Schriftsteller über die politischen Probleme der alten Römer und die verführerische Kraft von Ciceros Briefen gesprochen.

Robert Harris

PETER VON FELBERT

Kulturjournal, 4.11.2015

Als Politikredakteur hat Robert Harris für die BBC und britische Tageszeitungen gearbeitet und ist in dieser Zeit Machthabern wie Tony Blair bis auf Tuchfühlung begegnet. Dabei dürfte sich einiges an Material und Hintergrundwissen angesammelt haben, denn Harris kündigte seinen Brotjob und schrieb fortan Thriller und historische Romane, in denen politische Intrigen und Machtspiele im Zentrum der Handlung standen.

Neben Gegenwartsthemen interessierte Harris vor allem die römische Antike, da damals bis heute gültige politische Mechanismen geschaffen wurden. Jetzt hat Robert Harris nach zwölfjähriger Arbeit eine Romantrilogie über den römischen Denker und Staatsmann Cicero fertiggestellt. Der jetzt erschienene dritte Teil "Dictator" beschreibt die Jahre von Ciceros Verbannung bis zu seinem Tod.

Robert Harris, während Ihrer intensiven Beschäftigung mit der römischen Antike, sind Ihnen da Parallelen zur gegenwärtigen politischen Situation aufgefallen?

Es gab eine Menge Parallelen. Der neue Roman "Dictator" beginnt ja gleich mit einer Massenmigration. Hunderttausende Kelten flüchten da von Osten nach Westen quer durch Europa und Caesar zieht nach Norden, um sich diesen Menschen entgegenzustellen. Daneben beschäftigten die römische Republik auch Fragen der nationalen Sicherheit, zur Notwendigkeit von Streitkräften und zu den Geldflüssen vor den Wahlen. Es gibt da einfach allgemeingültige Gesetze der Macht, die sich überall auf der Welt und zu jeder Zeit wiederfinden lassen. Und für mich stellt die römische Republik den Schmelztiegel dar, in dem diese Mechanismen entstanden sind.

Sie haben Cicero in den Mittelpunkt ihrer Geschichte gestellt. Warum ist die Wahl ausgerechnet auf ihn gefallen, andere Schriftsteller haben Cicero ja fast totgeschwiegen, in Shakespeares "Julius Caesar" zum Beispiel, kommt er kaum vor.

Nicht nur Shakespeare, auch viele andere Dramatiker, Filmemacher und Romanciers haben Cicero oft weitgehend ignoriert. Keinem schien er Held genug. Ich sehe das ganz anders. Für mich ist er eine sehr menschliche Figur, die auch zahlreiche Fehler hatte. So war er eingebildet und habgierig und konnte auch ein ziemlicher Heuchler sein. Gleichzeitig war er aber auch ausgesprochen humorvoll, mitfühlend und ein brillanter Geist, dem Freiheit und die Einhaltung der Gesetze am Herzen lagen.

Mir hat auch gefallen wie er aus dem Nichts zum Konsul aufgestiegen ist. Er stammte nämlich weder aus einer Adelsfamilie, noch war er Soldat, und auf ein bedeutendes Familienvermögen konnte er auch nicht zurückgreifen. Er machte seine Karriere, weil er ein genialer Redner war, was er zuerst als Anwalt und später als Politiker einsetzte. Und er hat fast tausend Briefe hinterlassen, die Erstaunliches darüber erzählen, wie ein Mensch der Antike gefühlt und gelebt hat.

Was genau ist das Erstaunliche an Ciceros Briefen?

Cicero war Schriftsteller, gleichzeitig aber auch ein Mann der Tat, der sehr offen über sein Handeln nachgedacht hat. Dazu war er ein humorvoller und neugieriger Beobachter des gesellschaftlichen Lebens, der sich auch leidenschaftlich für gerade brodelnde Gerüchte interessierte. Als Petrarca Ende des 14. Jahrhunderts die verloren geglaubten Briefe Ciceros wiederfand, war das Echo dementsprechend groß. Wahrscheinlich war dieser Fund sogar Mitauslöser für die Renaissance, denn diese Briefe führten zu einem ungeheuren Interesse an der Philosophie, der Lyrik und anderen Schriften der Antike.

Das hört sich an, als wären vor allem auch Projekte der Selbsterkundung wie etwa die Essays Montaignes ohne Cicero gar nicht möglich gewesen?

Ja, ich glaube, das stimmt so. In Montaigne ist viel Cicero enthalten, und wahrscheinlich hat ihm Cicero sogar als Vorbild gedient. Meines Wissens war Montaigne der erste seit Cicero, der sich in diesem Ausmaß und dieser Offenheit mit sich selbst beschäftigt hat. Es hat also weit mehr als tausend Jahre gedauert bis wieder jemand wie Cicero aufgetaucht ist, der Tag für Tag darüber berichtet, was er gedacht, was er gelesen und mit wem er zu Abend gegessen hat. Mir als Romanautor hat erst dieses Material die Möglichkeit gegeben, Ciceros Welt lebendig werden zu lassen.

Service

Robert Harris, "Dictator", Roman, aus dem Englischen von Wolfgang Müller, Heyne

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