Museum der Emigration in Rom

Mitten im Zentrum Roms gibt es das Museum der Emigration. Es ist Teil des Vittoriano. Hier wird Italien als Auswanderungsland gezeigt: 30 Millionen Menschen haben seit 1861, dem Jahr der Einigung Italiens, ihre Heimat verlassen. Nur ein Teil ist zurückgekommen. Ähnliches gilt für viele Länder - meint der Demograf und frühere Senator Massimo Livi Bacci. Er hat die "Kurze Geschichte der Migration" verfasst.

Kulturjournal, 6.11.2015

"Ohne Migration wären wir gar nicht da"

"Die Migration ist ein physiologischer Faktor der menschlichen Gesellschaft. Wäre der Homo sapiens nicht aus Afrika ausgewandert, um sich in der Welt zu verbreiten, säßen wir jetzt gar nicht hier. Die Migration ist daher ein grundlegendes Element der Menschheitsgeschichte", erklärt Livi Bacci. Der Ortswechsel als Menschenrecht. Aber auch als Prüfstand für die Demokratiefähigkeit eines Landes - betont der emeritierte Universitätsprofessor. Im zwanzigsten Jahrhundert, sagt er, kommt zur Globalisierung der Finanzen und Waren, die der Menschen. Das Ziel heißt für viele: Amerika.

"Da gab es auf der einen Seite einen großen Kontinent, der sich im Aufschwung befand und Arbeitskräfte brauchte. Und da war unserer: ein armer und stark bevölkerter Erdteil, der Arbeitskräfte im Überfluss hatte. Letztlich war es ein positiver Faktor. Für beide." Und trotzdem, beklagt der Demografie-Experte, sei Europa nicht vorbereitet: weder auf die vielen Flüchtlinge noch auf die ganz normalen Migrationsbewegungen. Es fehle die gemeinsame Handschrift.

Migrationspolitik: eine in den USA, 28 in Europa

"Der Vertrag von Lissabon besagt, dass jedes Land frei ist, zu bestimmen, wie viele Menschen es wann aufnimmt. In einem gemeinsamen Markt, einer gemeinsamen Union, ist das nicht gut. Nehmen wir die USA: Da gibt es auch nicht 50 verschiedene Arten von Migrationspolitik, nur weil es 50 Staaten gibt. Wir hingegen haben 28 unterschiedliche Formen der Einwanderungspolitik." Doch auch auf globaler Ebene vermisst Massimo Livi Bacci die notwendige Weitsicht. Das Phänomen Migration komme in der Agenda der internationalen Organismen kaum vor.

Kein Zuzug, kein Wohlstand

"Die Vereinten Nationen haben zum Beispiel vor kurzem die sogenannten 'Ziele nachhaltiger Entwicklung' verabschiedet, die der Welt in den kommenden fünfzehn Jahren als Leitlinien dienen sollen. Es gibt 18 sogenannte "goals" und 168 "targets". Aber die Migration fehlt. Zur Regelung der Migrationsflüsse ist nichts vorgesehen. Das ist ein schwerwiegender Fehler." Fehler, so der Autor, die sich, auf allen Ebenen fortsetzen. Und immer zulasten der Menschen gehen.

"Alle von den internationalen Organisationen beschlossenen Vereinbarungen über die Rechte der Migranten - einschließlich der von der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation - sind letztlich nicht unterzeichnet worden. Das sind nur Papierleichen. Man könnte aber auch mit einem weltweiten Personenregister beginnen sowie die grundlegenden Rechte der Migranten definieren. So würde man Stück für Stück ein internationales Regelwerk erstellen." Und zu welchem Schluss kommt der Demograf? Europa muss seine Türen für Migranten und Flüchtlinge offen halten, sagt er, ohne Zuzug wird unser Wohlstand nicht zu halten sein.

Service

Massimo Livi Bacci, "Kurze Geschichte der Migration", aus dem Italienischen von Marianne Schneider, Wagenbach 2015