Barrierefreiheit: Unternehmen weiter säumig

Mit Jahreswechsel müssen in Österreich Geschäfte, Restaurants, Arztpraxen und Kinos für Menschen mit Behinderung ohne Hindernisse zugänglich sein. Das Gesetz gibt es seit 2006. Am 1. Jänner endet nun die zehnjährige Übergangsfrist für die entsprechenden Umbauten. Nach Schätzungen sind aber erst zehn Prozent aller Unternehmen barrierefrei.

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ORF

Mittagsjournal, 19.11.2015

Rampe "behördlich nicht möglich"

Schauplatz ist eine Bäckereifiliale im 2. Bezirk in Wien: Vom Gehsteig zum Geschäft gibt es eine 15 Zentimeter hohe Stufe. "Normalerweise müssten wir da eine Rampe bauen", sagt Florian Dungl von der Bäckerei Felber, "das geht leider behördlich gar nicht, weil wir die Rampe nicht auf die Straße, auf den Gehsteig hinaus machen können." Man habe eine Glocke installiert, bei der Kunden mit Behinderung läuten können. "Natürlich ist das nicht die optimale Lösung", so Dungl.

Der Einbau einer Rampe nach innen ins Geschäft hinein wäre möglich, käme aber zu teuer, sagt die Bäckerei. Von den 48 Filialen der Bäckerei sind 18 barrierefrei, bei den anderen laufen Umbauten, heißt es.

Gibt es Alternativen für eine Rampe?

Ob eine Glocke ausreicht oder der Einbau einer Rampe zumutbar wäre, darüber sind Experten geteilter Meinung. Eine Rampe wäre zwar besser, sagt Rudi Maisriml vom Behindertenverband ÖZIV: "Wenn eine Rampe nicht machbar ist, dann muss man eine Glocke anbringen. Eine Glocke ist eine suboptimale Lösung, aber sie ist eine Lösung."

Anderer Meinung ist Behindertenvertreter Martin Ladstätter vom Verein BIZEPS: "Einer Bäckerei, die wirtschaftlich nicht völlig am Boden liegt, ist es sehr wohl zumutbar, einen barrierefreien Eingang zu machen. In zehn Jahren sei das zu schaffen, so Ladstätter, und wer es nicht gemacht habe, sei nicht gesetzeskonform.

Das genau festzustellen, wird nächstes Jahr einigen Aufwand verursachen. Mit einer Flut von Klagen rechnet Martin Ladstätter vom Verein BIZEPS aber nicht. Behinderte Menschen, die sich diskriminiert fühlen, müssen sich zuerst an eine Schlichtungsstelle im Sozialministerium wenden. Erst danach kann bei Gericht auf Schadenersatz geklagt werden.

Erst 10 Prozent sind barrierefrei

Laut Schätzungen von Behindertenanwalt Erwin Buchinger sind erst zehn Prozent aller Unternehmen barrierefrei. Eine Zahl, die auch Behindertenaktivist Ladstätter für realistisch hält. Was er nicht versteht ist, dass die Wirtschaft bei Barrierefreiheit oft nur an Kosten denkt: "In den USA sieht die Wirtschaft behinderte Menschen als Kunden. Bei uns sehen sie sie als Auslöser von Kosten. Das ist eigentlich relativ pervers, wenn sich ein Unternehmer dagegen schützt, dass seine Kunden ins Geschäft kommen." Die Wirtschaft habe die zehnjährige Übergangsfrist verschlafen, so Ladstätter.