Nationalismus in Osteuropa

In Osteuropa können Politiker, auch Regierungspolitiker, besonders gut punkten mit einem rigiden Kurs gegenüber Flüchtlingen. Das hängt eng zusammen mit dem erstarkenden Nationalismus in diesem Teil Europas. Diesem Phänomen war am Wochenende eine Konferenz in Budapest gewidmet: "Visual Nation".

Veranstaltet vom Kunstgeschichteinstitut der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, dem Budapester Geschichtsmuseum und der Erste Stiftung. Da wurde der alte neue Nationalismus in Osteuropa anhand seiner visuellen Erscheinungsformen diskutiert, etwa am Beispiel von Denk- und Mahnmalen.

Springerstiefel und EU-Fahne

EPA/Tamas Kovacs

Morgenjournal, 30.11.2015

"Westler" können es sich heute leicht machen, wieder auf "Ostler" herabzuschauen. In Polen wurde gerade mit absoluter Mehrheit eine Regierung gewählt, die im Eiltempo Medien und Kultur zu zensurieren beginnt. Ungarn hat wieder Stacheldraht; und nach UNO-Auffassung verletzt Tschechien systematisch die Menschenrechte von Flüchtlingen. Da spielen Regierungschefs eine fremdenfeindliche Karte aus, die gleichzeitig die nationalistische Karte ist.

Hochkonjunktur in Ost- und Westeuropa

Mythen nationalen Heldentums und nationalen Opfertums manifestieren sich von den Karpaten bis zum Ural in zahlreichen neuen Denkmälern. Ihre Ästhetik ist von vorgestern; genau wie die Fetischisierung der jeweiligen Nationalfarben. In Ungarn zum Beispiel sind sie sogar auf Produktverpackungen allgegenwärtig. Aber mit Spott darüber sollte man als Westeuropäer vorsichtig sein. Rechtsaußen-Populismus hat in ganz Europa Hochkonjunktur. Nur hat Populismus in Osteuropa eine andere Fassade, eben die des Nationalismus; erklärt die Kunsthistorikerin Edit András, die in Budapest und New York lebt.

Als Panzer dekorierte Kinderwägen

Edit András hat das Symposion "Visual Nation" in Budapest konzipiert. Diese spannende und facettenreiche Tagung war auch eine Tour durch die Bilderwelt nationaler Selbstvergewisserung. In Russland hat sich um den Gedenktag des opferreichen Sieges über Nazideutschland eine erstaunliche Folklore entwickelt. Auf Paraden werden sogar Kinderwägen als Panzer oder Armeeflugzeuge dekoriert, Konditorinnen backen Siegesmonument-Torten.

Nationalismus - Krücke für Selbstwert

Die russische Historikerin Julya Khemelvskaya erklärt, warum gerade dieser Siegestag in Putins Russland politisch genützt wird, um die Nation auf Einheit einzuschwören. "Im Stalinismus wurden Menschen terrorisiert und unterdrückt. Gegen die Deutschen zu kämpfen, war für sie auch befreiend. Zum ersten Mal hatten sie das Gefühl, dass der Staat sie brauchte." Nationalismus also eine Stütze oder auch Krücke für Selbstwert.

Ausstellung zum Thema

Nationale Traumata und Konfliktthemen durften in den Zeiten der proletarischen Internationale nicht diskutiert werden. Mit großer Verspätung rächt sich das jetzt, sagt Edit András. Sie ist auch Kuratorin einer internationalen Ausstellung zeitgenössischer Kunst zum Thema Nationalismus, im Kiscelli Museum und der Budapester Galerie. In einem Video des Albanischen Künstlers Adrian Paci erklettert eine Gruppe dunkelhäutiger Menschen auf einem Flugfeld eine Gangway. Im Hintergrund starten und landen Maschinen, aber die Treppe mit den schweigenden Menschen steht einsam, ohne Flugzeug. Die Welt der Nationalstaaten grenzt eben immer schon viele aus. Tendenz: derzeit steigend.

Service

VisualNationConference
Budapest Galeria - Private Nationalism Budapest; bis 13. Dezember 2015
Kiscelli Museum