"Ohrfeige" - Roman über Leben eines Asylwerbers

Es gilt als erster deutscher Roman über ein Asylwerberheim: Abbas Khiders soeben erschienenes Buch "Ohrfeige". Darin erzählt der 42-jährige deutsch-irakische Autor, der in Berlin lebt und auf Deutsch schreibt, von den Ängsten, Nöten und Träumen eines jungen Irakers.

Ausschnitt des Buchcovers, Hand

HANSER VERLAG

Mittagsjournal, 11.2.2016

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Abbas Khider, "Ohrfeige", Hanser

Am Ende wird er abgeschoben

"Ob Sie wollen oder nicht, wir reden", sagt der junge Mann zur Frau gegenüber, zu der für ihn zuständigen Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde. Er hat sie an ihren Schreibtischstuhl gefesselt, ihr mit Paketband den Mund zugeklebt und ihr offenbar eine Ohrfeige verpasst. Nachdem er sich einen Joint angesteckt hat, beginnt er, sich seine Sorgen von der Seele (zu) reden. "Ohrfeige" heißt der gerade erschienene Roman von Abbas Khider: die Lebensgeschichte des 19-jährigen Karim Mensy, eines Flüchtlings aus dem Irak, der seit drei Jahren in Deutschland lebt und jetzt abgeschoben werden soll.

"Er hat alles versucht, sich zu integrieren. Es hat nicht geklappt, und am Ende muss er abgeschoben werden", erklärt Abbas Khider. "Das alles will er jemandem erzählen, jemandem, der auch das Sagen hat; für ihn sind diese Beamten auch die Macher. Sie sind die Götter. Und die entscheiden, ob er jetzt hier weiterleben darf oder nicht."

Khiders Flucht aus dem Irak

Abbas Khider weiß, worüber er schreibt: Er war selbst ein Flüchtling. Geboren 1973 in Bagdad, wurde er, weil er Flugblätter gegen das Regime Saddam Husseins verteilte, inhaftiert und gefoltert. 1996 floh er aus dem Irak, lebte mehrere Jahre illegal in Jordanien, Ägypten, Libanon und Libyen und emigrierte über Italien und Österreich nach Deutschland, wo er Asyl fand und Literatur und Philosophie studierte. Von diesen Erfahrungen handeln auch Khiders Bücher, wie aktuell der Roman "Ohrfeige" über den jungen Karim Mensy.

"Sag niemals die Wahrheit"

"Es ist vermutlich ein Beispiel für viele, viele Asylbewerber, die hier wohnen - nicht nur in Deutschland, in Europa", betont Khider. "Es ist wirklich ein einfaches Beispiel. Es gibt Tausende, vielleicht Millionen von Karim Mensys. Und mein Ziel war, ein gesamtes Bild, nicht nur von Karim, sondern auch der Freunde und kleinerer Figuren, darzustellen: Wie leben diese Asylbewerber? Wie leben diese Flüchtlinge?"

Abbas Khiders Roman zeigt anschaulich die Ohnmacht der Asylbewerber, ihr Leben im Niemandsland, die Fallstricke der Bürokratie, das unerträgliche Warten auf Bescheide. Er zeigt aber auch ihre Tricks und Finten. "Die Grundregel ist: Niemals die Wahrheit sagen. Sag, dass du mit der Opposition zusammengearbeitet hast", wird Abbas Khiders Held Karim Mensy belehrt zu antworten, wenn ihn der Richter nach dem Asylgrund fragt. "Man muss Geschichten erfinden, um hier bleiben zu dürfen. Man muss auch eine neue Identität erfinden ... Alle wissen davon - und alle machen mit", sagt der Autor.

Salopper Ton & Nähe zu den Figuren

Abbas Khiders Roman ist nicht der prompte Reflex auf prekäre Zustände. Der Autor hat schon vor drei Jahren begonnen, an dem Buch zu schreiben, das auch nicht in der unmittelbaren Gegenwart angesiedelt ist, sondern vor dem Hintergrund der Endphase des Regimes von Saddam Hussein und dem Irak-Krieg von 2003. Das ändert nichts an der Brisanz des Romans, im Gegenteil. Abbas Khider ist ein ebenso eindringlicher wie unaufdringlicher, weil nie moralisierender Roman gelungen, der nicht zuletzt durch seine Nähe zu den Figuren und seinen saloppen Ton überzeugt.

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