Vom ungarischen Lager nach Deutschland

Die offizielle Balkanroute ist zwar seit zwei Monaten geschlossen. Aber speziell über Ungarn kommen weiter Asylsuchende nach Österreich. 2.200 hat die Polizei heuer im Burgenland entdeckt. Sie werden nicht nach Ungarn abgeschoben, weil das Asylsystem dort als menschenrechtswidrig gilt. Bernt Koschuh hat mit einem Syrer gesprochen, der über Ungarn eingereist ist. Er berichtet, er sei dort 28 Tage unter fragwürdigen Bedingungen eingesperrt gewesen - in einem Flüchtlingslager.

Mittagsjournal, 9.5.2016

Als der legale Weg über die Balkanroute im März plötzlich geschlossen wurde, da ist der 27-jährige Englischstudent Younes Sawsak aus Syrien sozusagen steckengeblieben. Als einer von rund 2000 Asylsuchenden in Serbien - an der Grenze zu Kroatien. Wochen später versucht er, über Ungarn - bei Röszke - weiterzukommen. Tagelang muss er im Freien an der Grenze lagern mit hunderten anderen - bis er nach Ungarn darf: "Ich bin legal nach Ungarn eingereist - durch das Tor. Die Ungarn lassen 20 Personen am Tag durch. Ich hab dann einen Asylantrag in Ungarn gestellt. Und trotzdem haben sie uns 28 Tage festgehalten im Transitcamp. Ich verstehe nicht, warum die Ungarn sie uns so behandelt haben."

Es sei wie ein Gefängnis gewesen in Röszke: "28 Tage in einem geschlossenen Camp. Wir konnten nicht herumgehen, nur essen und schlafen. Ein Horror." Dann die Verlegung ins offene Camp in Bizske. Das Lager sei geradezu aufgeteilt unter Schleppern.
"Im Camp, das ist wie die Mafia." sagt Younes. 300 Euro pro Person zahlen er und vier andere einem Schlepper. Ein Mann führt sie, setzt sie ab und behauptet, sie seien schon in Österreich, erzählt der 27-Jährige. In der nächsten Ortschaft stellt sich das als falsch heraus: "Ich hab´ die ungarische Fahne gesehen und hab gesagt: Das ist ja noch Ungarn. Er hat uns angelogen."
8 Stunden lang marschieren die vier Männer und eine Frau in der Nacht Richtung Österreich - neben der Straße, um nicht entdeckt zu werden. In den frühen Morgenstunden erreichen sie Andau im Burgenland und werden von Polizisten entdeckt: "Da waren schon viele andere Flüchtlinge, ca. 40 in einem Bus. Sie haben uns zu einem Polizeizentrum gebracht, unsere Fingerabdrücke genommen und viele Fragen gestellt."

Younes wird nicht abgeschoben nach Ungarn, weil der Umgang mit Asylwerbern dort als menschenrechtswidrig gilt. Der 27-Jährige kommt nach Traiskirchen. Er stellt aber keinen Asylantrag in Österreich, weil er nach Deutschland will, erzählt er den Beamten: "Weil mein Bruder in Deutschland ist. Meine Mutter hat mich geschickt, weil der Bruder erst 18 ist und wir nicht wissen, was er treibt."

Younes stammt aus Rankous nahe Damaskus. Knapp ein Jahr lang hat er zunächst mit seiner Familie im Libanon in einem der improvisierten Flüchtlingscamps gelebt: "Mein Heimatort ist in der Kriegszone. Ich will niemanden töten und von niemandem getötet werden. Ich musste die Uni verlassen und will nur weiterstudieren und meinen Bruder treffen."

Vor wenigen Tagen - kurz nach unserem Interview in Wien - hat der 27-jährige die deutsche Stadt Wolgast an der Ostsee erreicht, wo sein Bruder als bereits anerkannter Flüchtling lebt. Dass sie radikale Moslems sein könnten, muss dort niemand befürchten. Aus Syrien erzählt Younes: "Nahe meinem Ort ist ein christliches Dorf und es gibt keine Probleme, wir haben ihre Kirche besucht und sie unsere Moschee. Wir sind doch alle Söhne von Adam und Eva."

Übrigens: Laut offiziellen Aussagen aus Ungarn gibt es in Röszke keine legale Einreisemöglichkeit und keine 28-tägige Anhaltung. Ungarische Hilfsorganisationen aber halten die Aussagen des Syrers für absolut glaubwürdig.