"Dark Circus" im Wiener brut

Theaterproduktionen für die ganze Familie sind bei Festivals wie den Wiener Festwochen eher rar. Das Stück "Dark Circus" des französischen Künstlerduos Stereoptik allerdings möchte Jung und Alt in Staunen versetzen.

Scherenschnitt

STEREOPTIK

Kulturjournal, 3.6.2016

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Wiener Festwochen - Dark Circus
Für Zuschauerinnen und Zuschauer ab sieben Jahren geeignet.

"Kommen Sie zahlreich, werden Sie unglücklich"

Mit diesem beängstigenden Slogan pilgert der dunkle Zirkus von Stadt zu Stadt, um die mutigsten ihrer Bewohner hereinzubitten. Grausame Dinge passieren: Eine Seiltänzerin stürzt zu Boden, ein Löwe frisst seinen Dompteur, der Mann auf der Kanonenkugel fliegt ab Richtung Weltall. Nur ein Jongleur verspricht in diese Düsternis aus schwarzer Tinte und rätselhaften Schatten etwas Farbe zu bringen.

Die Geschichte klingt nicht gerade so, als wäre sie für Kinder geeignet. Es ist aber die Arbeitsweise des Künstlerduos Stereoptik, die das Publikum egal welchen Alters in kindliches Staunen versetzt. "In einem Stück für die ganze Familie muss die Erzählung, die Geschichte im Mittelpunkt stehen. Die lässt sich ganz naiv oder auch philosophisch deuten - das überlassen wir dem Publikum. Wir arbeiten mit Dingen, die jeder kennt: mit Farbstiften, Kartons, Plastiksäcken oder einer Gitarre. Wir verwenden keine ausgefeilten Technologien", sagt Jean-Baptiste Maillet von Stereoptik.

Das Handwerkliche sichtbar machen

Die Geschichte für das Stück "Dark Circus" hat der befreundete Kinderbuchautor und -illustrator Pierre Elie Ferrier beigesteuert; Maillet tritt als Erzähler und zusammen mit seinem Kollegen Romain Bermond als Musiker und Akrobat, Puppenspieler, Zeichner und Projektionskünstler auf. Nichts passiert hinter den Kulissen: Die beiden lassen sich, links und rechts von der Bühne positioniert, bei ihrer Arbeit zuschauen.

"Wir filmen alles, was auf der Bühne passiert und projizieren auf der Leinwand das Ergebnis dessen, was wir gerade schaffen. Das Publikum kann also die Entstehung unseres Animationsfilms mitverfolgen. Wir wollen das Handwerkliche sichtbar machen. Dadurch entsteht eine Unmittelbarkeit: Das Publikum kann an unserem kreativen Akt teilhaben", so Maillet.

Ein gut eingespielter Rhythmus, die exakte Abstimmung der Arbeitsabläufe ist hier entscheidend. Da erscheint es passend, dass Maillet und Bermond einander in der Rhythmusgruppe eines Bläserensembles kennengelernt haben. Ihr Theaterprojekt haben sie nach dem ersten gemeinsamen Stück benannt, das sie 2009 herausgebracht haben: "Stereoptik". Zwei Silhouetten entdecken die Welt und treffen auf einen Kabarettsänger, der von Aliens entführt wurde. So die erste Geschichte, die sie mithilfe von Marionetten und Gegenständen als Live-Kinofilm erzählt haben. Stereoptik wirkt wie ein Gegenentwurf zur digitalen Welt, ohne die die moderne Gesellschaft kaum noch zu funktionieren scheint.

Jean-Baptiste Maillet: "Wir wollen mit unserer Arbeit kein Statement setzen. Wir tun einfach das, was wir gelernt haben. Wir haben beide gelernt, mit Musikinstrumenten, mit Stiften, Papier und Tusche umzugehen. Wir wollen keine bewusste Mauer zwischen digitaler und analoger Welt aufbauen. Wir arbeiten jetzt seit acht Jahren auf diese Art und Weise und scheinen in den Menschen irgendetwas zu berühren."

"Wir gehen ein Risiko ein"

Schon mit ihrer ersten Produktion haben Maillet und Bermond die Aufmerksamkeit von Frédéric Maurin erregt; er leitet das Thater l'Hectare in Vendome, 150 Kilometer südwestlich von Paris, ein Zentrum für Marionetten- und Objekttheater. Seine Unterstützung ermöglichte den beiden 2011 die Gründung der Compagnie Stereoptik. Seitdem haben sie ihre Mittel ständig erweitert: In "Dark Circus" etwa wird das erste Mal auch gesprochen: Maillet selbst leiht einer Zirkusdirektor-Marionette seine Stimme, die durch die Handlung führt. Die Sprache passt sich dabei dem Land an, in dem das Stück jeweils gastiert.

"Wir gehen ein gewisses Risiko ein, denn ich werde den Text nun auf Deutsch sprechen, ohne selbst ein einziges Wort zu verstehen. Die Übersetzung hat jemand anderer vorgenommen. Wir haben keine Ahnung, ob es die Leute lustig, lächerlich oder kurios finden werden - wir wissen gar nichts!" Sicher ist: Die Ideen werden Stereoptik nicht so bald ausgehen. Im Laufe der Jahre haben die beiden schon so viel überschüssiges Material produziert, dass sie mit den vielen Zeichnungen und Requisiten in Marseille demnächst eine eigene Ausstellung eröffnen.

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