Nuruddin Farah: "Jenes andere Leben"

Es ist erst wenige Tage her, dass sich in Somalia ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt und dabei Dutzende Menschen getötet hat. Die islamische Terrorgruppe al-Schabab bekannte sich zu der Tat. Mit einem derartigen Anschlag beginnt auch der Roman "Jenes andere Leben" des somalischen Autors Nuruddin Farah. Gestern las er in Salzburg daraus, heute folgt Innsbruck.

Morgenjournal, 7.6.2016

Aus Salzburg,

Seit mehr als 40 Jahren schreibt Farah kritisch über die afrikanische Gesellschaft, pessimistisch ist er dennoch nicht.

"Männer zerbrechen an der Gewalt"

Das Attentat steht zwar am Beginn des Romans, doch das Buch widmet sich im Wesentlichen jenen Menschen, die vor allem den Kindern helfen, die Krise zu meistern: Es sind vor allem Frauen, die sich bewähren, sie können Kindern ihr Selbstbewusstsein zurückgeben. Männer können das nicht, oftmals zerbrechen sie an der Gewalt des Bürgerkriegs, sagt der Autor.

Nurrudin Farah weiß, wovon er spricht: In seinem Heimatland Somalia herrscht seit Jahrzehnten Bürgerkrieg, auch Farah ist geflohen. Nach Zwischenstationen in verschiedenen afrikanischen Ländern lebt er heute in Kapstadt in Südafrika, dort schätzt er nicht nur das Klima und den Frieden, die Stadt bietet ihm auch Anonymität, was der Schriftsteller besonders schätzt: "Ich kann meine Wohnung abschließen und keiner weiß, ob ich da bin."

Fortschritte in der Bildung

Seine Heimat Somalia könne ihm das zurzeit nicht bieten, da bestehe immer noch Lebensgefahr durch die al-Shabab-Milizen. Dennoch hofft Farah, dass sich die Situation in Somalia bessert, um vielleicht doch einmal zurückkehren zu können. Die Kluft zwischen arm und reich wird auch in Afrika immer größer; die Korruption wird nicht entscheidend bekämpft, doch zum Beispiel in der Bildung habe der Kontinent deutliche Fortschritte gemacht: Als Somalia unabhängig wurde, so Farah, hat es gerade 56 Absolventen einer höheren Schule gegeben; zehn Jahre später sind mehr als zwei Millionen Kinder in die Schule gegangen.

"40 Millionen Europäer waren auf der Flucht"

Das Wohlergehen des ganzen Kontinents ist aber immer noch nicht gesichert, nicht zuletzt die vielen Flüchtlinge sind dafür ein Zeichen. Natürlich beobachte er die Flüchtlingskrise, sagt der Schriftsteller. Und geht mit Europa hart ins Gericht: Denn er erinnert daran, dass 40 Millionen Europäer in früheren Jahrhunderten ihre Heimat verlassen haben, auf der Flucht vor Hunger und Unterdrückung.

Warum fragt Farah, und er wird eindringlich, warum ist es nicht möglich zu erkennen, dass jetzt eben andere Völker arm und unterdrückt sind und Schutz brauchen. Wer über die Flüchtlingskrise rede, der müsse auch über europäische Geschichte reden, fordert Nurrudin Farah.

Service

Nuruddin Farah, "Jenes andere Leben", Suhrkamp

Heute liest Nurrudin Farah um 20 Uhr im Literaturhaus am Inn in Innsbruck.