Zum Comeback des Ö3-"Popmuseums" als Ö1 Sendereihe
Nostalgiefreie Zone
Knapp nach dem Start von Ö3 und der Gründung der Jugendredaktion machte ich als frisch gefangener 19-jähriger Mitarbeiter der "Musicbox" den Vorschlag, einige Ausgaben unter dem Titel "Popmuseum" auszustrahlen.
8. April 2017, 21:58
Im Kontext einer Sendung, die sich der Gegenwart und der Zukunft verpflichtet fühlte, war der Blick in den Rückspiegel eine ziemlich exzentrische Idee. Ein Grund dafür war wohl, das Wissen um die Frühgeschichte der Popmusik anzureichern, etwa durch pädagogische Hinweise darauf, dass weiße Stars wie Elvis oder die Stones die schwarze Rhythm & Blues-Musik angezapft hatten oder Bob Dylan viele Lehrmeister hatte.
AP/RCA VICTOR
Gesellschaftliche Bewegungen
Das eifrige Hören von Radio Luxemburg und das gelegentliche Verschlingen britischer Musikzeitungen gab mir einen Bildungsvorsprung. Denn 1969 war es noch unmöglich, seriöse Pop-Infos in österreichischen Medien zu finden. Der "Box" brachte dieser Know-how-Vorsprung und der Wille, in der Popmusik mehr zu sehen als modische Unterhaltungsmusik, ihre Monopolstellung.
Zwischen der prähistorischen Frühphase und der jetzigen Neueröffnung auf Ö1 liegen zahlreiche Änderungen und Zäsuren der Sendereihe "Popmuseum". Doch die Grundhaltung stand von Anfang an fest: keine nostalgische Oldies-Revue, sondern Klassiker und Raritäten. Nicht nur popinterne Fakten wie Chartplatzierungen, sondern Musikstücke auch als Dokument für gesellschaftliche Bewegungen und im breiten Blick auf den kulturgeschichtlichen Kontext.
1974 kabarettistisch angelegt
Beim Versuch, die Kapitel einer langen Geschichte zu rekonstruieren, schlage ich besser bei Wikipedia nach. Als eigenständige Ö3-Sendereihe war das unsichtbare und anfangs kabarettistisch angelegte Museum am 16. Oktober 1974 zu hören: "Damals hat Kos das Manuskript einem von Wolfgang Hübsch gespielten fiktiven Museumsaufseher auf den Leib geschrieben. Dieser hat ahnungslos, aber doch mit den wichtigen Fakten versehen, durch die laufende Ausstellung geführt und immer wieder einen 'Herrn Direktor' erwähnt, dessen Fachwissen er teils devot, teils besserwisserisch, teils 'von unten herab' wiedergab."
1987 Neustart
Sendezeit und Länge haben sich immer wieder geändert: Das Format mit Wolfgang Hübsch war knapp 30 Minuten lang und lief nach den 19 Uhr-Nachrichten. Nach einer mehrjährigen Pause kam es 1987 zum Neustart, diesmal einstündig und erstmals vom Direktor und Kurator auch persönlich präsentiert, womit die Kasperliaden überflüssig wurden und die Sendung "ernsthafter" und feuilletonistischer wurde.
1995 vor Mitternacht
Mit Ö3-Chef Rudi Klausnitzer gab es Diskussionen darüber, ob persönlich geprägte Fachsendungen auch weiterhin im nun auf Formatradio getrimmten Erfolgssender Ö3 Platz haben sollten. Nach der Ö3-Reform von 1995 wurde das "Popmuseum" einige Jahre lang Sonntags zwischen 23:05 Uhr und Mitternacht ausgestrahlt. Für den zunehmenden Kultstatus der Reihe war diese Verbannung an den Rand kein Nachteil, Ausstellungen mit ausgefallenen Exponaten nahmen zu.
Der Spielplan hatte sich jedoch seit den 70er Jahren an kaum verändert: Neben Monografien zu Stars und Antistars gab es immer auch Themensendungen zu Nahe- und Fernliegendem oder Serien wie "Die Farbenlehre der Popmusik", mit Eisenbahn-Songs oder Musikern mit erfundenen akademischen Titeln wie Dr. John oder Dr. Feelgood.
ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Neue Heimstätte Ö1
Dieser Mix ist auch für die neue Heimstätte Ö1 vorgesehen. In Künstlerporträts werden Soul-Sister Aretha Franklin (17.7.) oder der Meta-Ironiker Randy Newman (14.8. ) vorgestellt, Themensendungen handeln unter anderem von der musikalisch weichen und politisch harten Grenze zwischen Mexiko und den USA ("South of the Border", 10.7.), vom Jailhouse Blues ("Hinter Gittern", 24. und 31.7.) oder der Rezeption amerikanischer Musikarten in Afrika (7.8.).
Nachdem ich 2003 für zwölf Jahre die Leitung des Wien Museums, also eines "realen" Museums, übernommen hatte, wo die Marke "Popmuseum" für Veranstaltungen vor Publikum reaktiviert wurde, weiß ich, welche Vorteile ein virtuelles Radiomuseum hat. Weil es keine Mauern und keine Mitarbeiter hat und ausschließlich "on air" existiert, braucht es z.B. keine Baupläne oder Sitzungen. De facto gab es als äußere Hülle nur zwei Plastiksackerln, in denen ich die benötigten LPs ins Funkhaus schleppte. Kaum ein Passant in der Argentinierstraße hat wohl bemerkt, dass vor ihren Augen eine museologische Institution vorbeigetragen wurde. Vinyl wird auch künftig gleichberechtigt mit anderen Tonträgern sein.
Was wird anders sein?
Das weiß ich noch nicht genau, denn ich habe noch nie auf einem Kultur-, Wort- und E-Musik-Sender durch Ausstellungen mit Exponaten aus Pop, Folk, Blues, Punk, Reggae, Rock oder Hip-Hop geführt. Zum Zeitpunkt dieses Textes sinniere ich noch darüber, wie mit dem ehrenvollen Hintereinander von Symphonieorchester und Popmusik (getrennt nur durch die 13 Uhr-Nachrichten!) umzugehen ist. Die Zäsur betonen und gleich wüste E-Gitarren losfetzen lassen? Oder Popverächter, die es unter den Klassikfans immer noch geben soll, mit hörfreundlicher Musik höflich dazu einzuladen, auch beim nachphilharmonischen Schnitzel Ö1 eine Chance zu geben?
Pop im Museum muss längst nicht mehr begründet werden, dafür ist die Debatte darüber im Laufen, ob nicht die dauernde Wiederkehr einstiger Popmoden und das permanente Restlaufkochen und Remixen die Zukunft der Popmusik unterminiert. Ich schlage vor, diese Frage noch einige Jahre lang offen zu halten. Die Utopie, dass Rockmusik nie altern darf, befindet sich jedenfalls längst im Museumsdepot.
Text: Wolfgang Kos, Historiker und Kulturjournalist