Ars Electronica in Moskau
Die Linzer Ars Electronica stellt erstmals in Russland aus. Gemeinsam mit dem Moskauer Polytechnischen Museum wurde die Schau "Earth Lab" (Laboratorium Erde) konzipiert. Zu sehen ist sie für drei Monate direkt im Zentrum der russischen Hauptstadt, in den Kellerräumen einer alten Schokoladenfabrik.
26. April 2017, 12:23
Kulturjournal, 23.6.2016
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Ars Electronica - Earth Lab
Töne, die eine Flamme beeinflussen: In Abhängigkeit von den Schallwellen biegt sie sich, hüpft, wird selbst zur Welle. Etwas weiter: Eine aus Nährstoffen modellierte Hand, die in nur wenigen Stunden von Bakterien überwuchert wird. Rote Ballkleider, die von der Decke hängen - plötzlich beginnen sie sich zu drehen, scheinen lebendig zu werden, sich in Tänzerinnen zu verwandeln, die durch die Luft wirbeln.
Ein Terrarium, das eine ganze Fabrik darstellen soll. Aus Fliegenlarven wird hier Pastete produziert - ein Vorschlag, das Welternährungsproblem zu lösen. Auch mit dem Problem der Landminen in Afghanistan haben sich zwei Künstler beschäftigt: Sie haben eine Art riesigen Ball konstruiert, so leicht, dass ihn der Wind über eine Wiese rollen kann, und doch so schwer, dass er jede Mine, über die er rollt, zur Explosion bringt.
DANIIL PRIMAK, POLYTECHNIC MUSEUM
Unterschiedliche Ansätze
Es sind ganz unterschiedliche Fragestellungen, zu denen das Thema der Ausstellung, "Earth Lab", die Künstler inspiriert hat. Insgesamt 19 Arbeiten sind hier zu sehen, zwischen alten Ziegelwänden und unter Gewölben in den Kellerräumen der früheren Schokoladenfabrik "Roter Oktober". 14 Werke hat die Ars Electronica zusammengestellt, fünf ihr russischer Partner für diese Ausstellung, das Moskauer Polytechnische Museum. Und diese Kooperation ist es auch, die das Projekt so spannend macht, sagt Manuela Naveau, die Kuratorin von österreichischer Seite.
Die Russen sind übrigens anders an das Thema "Erde" herangegangen als viele der mittel- und westeuropäischen Künstler, sagt Natalia Fuchs, die russische Kuratorin: "Die Arbeiten der europäischen Künstler haben einen ganz eindeutig praktischen Charakter. Mir scheint, das ist ein Spezifikum der europäischen Art zu denken. Die russischen Arbeiten sind viel abstrakter, die fallen mehr in den Bereich Poesie oder Literatur."
In die Vergangenheit eingreifen
Einer der russischen Künstler ist Dmitri Bulatow. Gemeinsam mit Alexej Tschebykin hat er ein Objekt mit Spiegeln und Kameras konstruiert, das den Tatlin-Turm, einen berühmten Architektur-Entwurf aus den ersten Jahren der sowjetischen Zeit, elektronisch verändert - und zwar in Abhängigkeit davon, wie gut man den Rasen, in dem die Spiegel stehen, pflegt. "Damit können wir mit unserem heutigen Tun Einfluss nehmen darauf, wie der vor fast 100 Jahren entworfene Turm aussieht", sagt Bulatow, "wir greifen also in die Vergangenheit ein.
"In Russland wissen wir, dass die Vergangenheit und die Zukunft veränderbar sind. Es gibt kein klares, festgelegtes Bild, wir konstruieren Vergangenheit und Zukunft. Gerade jetzt kann man ja beobachten, wie man die Vergangenheit in etwas vollkommen anderes umgestalten kann", sagt Bulatow. Eine durchaus politische Arbeit also, eine gar nicht so verdeckte Kritik an der derzeitigen Propaganda und der Instrumentalisierung historischer Mythen für politische Ziele.
Umweltschutz in Russland
Bulatow meint, dass Russen oft ganz etwas anderes mit dem Thema "Erde" assoziieren als Mittel- und Westeuropäer. Viele Europäer denken zum Beispiel daran, dass wir durch unser Handeln unseren eigenen Planeten zerstören könnten. Doch Umweltschutz ist ein Thema, das in Russland vorerst nur wenige interessiert; und auch Skepsis gegenüber den Segnungen der Technik ist in Russland viel weniger verbreitet. Aber gerade die Vielfalt der Ideen macht den Reiz der Ausstellung aus, meint Kuratorin Fuchs: "Das ist ein einzigartiges Projekt. In derartigem Umfang hat sich in Moskau noch niemand dem Thema 'Erde' gewidmet."
"Das Weltall ist vielleicht ganz anders"
Und vielleicht ist es auch aus einem anderen Grund ein Projekt zur rechten Zeit: Nach 15 oder 20 Jahren, in denen man wenig aus Russland gehört hat, gibt es jetzt nämlich wieder Bewegung an der Schnittstelle zwischen Technik und Kunst, meint der russische Künstler Dmitry Morosow: "Es gibt eine neue Generation russischer Künstler, die sich in sehr vielfältiger Weise entwickelt, und die bereits interessante Arbeiten auf internationalem Niveau präsentiert." Morosow, bekannt unter dem Künstlernamen "vitol" gehört selbst zu dieser neuen Generation.
Sieben rot leuchtende Laser, deren Lichtstrahlen von Ventilatoren unterbrochen werden, die zu blinken anfangen und chaotische, aber doch rhythmische Töne generieren, präsentiert Morosow hier. Eine Interpretation des physikalischen Konzepts des Welle-Teilchen-Dualismus sei es, erklärt Morosow. "Ein Hinweis auch", so meint er, "dass das Weltall in Wirklichkeit vielleicht ganz anders ist als wir uns das immer vorgestellt haben." Ein Werk also, das Kuratorin Fuchs wohl als typisch für die neue Generation russischer Künstler bezeichnen würde: abstrakt, ohne praktische Anwendung, aber poetisch.