Brexit: GB-Wissenschaftler nach Österreich?
Mit dem Brexit kommt Bewegung in die EU: Banken verlegen ihre Zentralen, internationale Konzerne verlieren das Interesse am Standort, genauso wie Wissenschaft und Forschung. Helga Nowotny, ehemalige Präsidentin des Europäischen Forschungsrates, sieht hier eine Chance für Österreich. Sie fordert die Regierung auf, finanzielle Mittel in die Forschung zu investieren, damit Österreich für migrationswillige Wissenschaftler aus Großbritannien attraktiver wird.
27. April 2017, 15:40
Mittagsjournal, 6.7.2016
"Deutschland bereitet sich schon vor"
Es gibt wenige Menschen, die die europäische Wissenschaftspolitik so intensiv von innen kennengelernt haben, wie Helga Nowotny. Sie beriet nicht nur die EU-Kommission in Sachen Forschungspolitik beraten, Nowotny begründete auch den Europäischen Forschungsrat mit und leitete ihn. Der Rat investiert jedes Jahr knapp zwei Milliarden Euro in die Grundlagenforschung.
Ihrer Einschätzung nach wird der Brexit die europäische Wissenschaft langfristig prägen. "Ich glaube, dass sich das wissenschaftliche Schwergebiet nach Deutschland verlagern wird", sagte Nowotny im Ö1-Mittagsjournal. In Deutschland seien auch schon Überlegungen im Gange, wie die Situation in Großbritannien genutzt werden könnte, um sich attraktiver aufzustellen, also etwa mehr Angebote in Englisch für Master-Lehrgänge an den verschiedenen Exzellenzuniversitäten.
"Einfluss Großbritanniens schwindet"
Eine Milliarde Euro jährlich erhielt Großbritannien bisher an Forschungsförderung von der EU, nun muss ein Assoziationsabkommen ausgehandelt werden. Nichtmitgliedsstaaten müssen mitunter tief in die Tasche greifen, wenn EU-Geld in der Wissenschaft ausfällt - so geschehen in der Schweiz nach einer Abstimmung gegen die Personenfreizügigkeit. "Die Schweiz hat intern Gelder zur Verfügung gestellt, um das zu kompensieren", so Nowotny. In Großbritannien könne sie sich das allein aufgrund der Größenordnung und des Volumens gar nicht vorstellen.
Einen weiteren Effekt des Brexit sieht die Expertin für europäische Forschungspolitik - der Einfluss Großbritanniens auf das nächste Forschungsprogramm wird rapide schwinden. "Also die nächsten zwei Jahre - man tut so, als hätte sich nichts geändert, aber es ist klar, dass sich viele Leute überlegen, soll ich mir jetzt noch einen Vorsitzenden für ein Gremium aus Großbritannien einladen, wenn ich weiß, in zwei Jahren sind die wieder weg", erläutert Nowotny.
"Österreich kann von Verunsicherung profitieren"
Von dieser Verunsicherung in Europas Wissenschaft könne auch Österreich profitieren, betonte Nowotny. "Das würde vor allem bedeuten, dass wir auch mehr Mittel für die Forschung zur Verfügung haben", sagt sie. In Deutschland sehe sie im Unterschied zu Österreich die Bereitschaft und den Willen, denn da würden weiterhin zusätzliche Millionen ins System hineingepumpt.
Als Mitglied des Rats für Forschung und Technologieentwicklung berät Helga Nowotny auch die österreichische Bundesregierung - es wird sich zeigen, ob ihre Forderung dennoch wie bisher ein frommer Wunsch bleibt.