Das Tier im Menschen: Wolfsaga "Wild" im Kino

Die Beziehung zwischen Mensch und Tier ist ein beliebtes Sujet im Kinofilm, doch spielen die Tiere meist eine dem Menschen untergeordnete Rolle. Ganz im Gegensatz dazu der Film "Wild" der deutschen Regisseurin Nicolette Krebitz: Hier wird ein Wolf zum Auslöser für die Persönlichkeitsverwandlung einer jungen Frau.

In den Hauptrollen sind die deutsche Schauspielerin Lilith Stangenberg und der Österreicher Georg Friedrich zu sehen.

Morgenjournal, 20.7.2016

Spiegel für heimliche Sehnsüchte

Dieses Leben hat nicht viel zu bieten. Trister Plattenbau, anspruchsloser Bürojob, belanglose Verpflichtungen und jede Menge Einsamkeit sind Anjas Begleiter durch ihre angepasste Existenz in Halle-Neustadt nahe Leipzig. Mit der Geselligkeit anderer kommt sie nicht gut zurecht, fasziniert ist die stille Frau Ende 20 aber von einem Wolf, der ihr in einem Park über den Weg läuft.

Der Wolf wird gefangen, in der Wohnung eingesperrt, das Experiment einer etwas anderen Liebesbeziehung beginnt. Anja und der Wolf, der Mensch und das Tier, eine Beziehung, die der Film "Wild" zum Spiegel für heimliche Sehnsüchte macht, für die Wiederentdeckung verkümmerter Freiheitswünsche. Regisseurin Nicolette Krebitz: "Diese Film ist eine Art Befreiungsgeschichte, in der am Ende eine Frau steht, die ausschließlich sagt und tut, was sie will."

Distanz zum Alltag

Das Wilde und Zivilisierte treten in einen Konkurrenzkampf, in dem die Errungenschaften der Zivilisation systematisch demontiert werden. Anja unterwirft sich in vorbehaltloser Zuneigung einem Prozess der Verwilderung: wenn sie am Imbissstand gierig die Speiseüberreste anderer Gäste reinstopft, wenn sie ihre Wohnung der Verwahrlosung preis gibt, ihre Notdurft auf einem Schreibtisch verrichtet, radikale Distanz zum gewohnten Alltag und seinen Annehmlichkeiten aufbaut.

Identifikationsräume

Dem Verlust der Logik bürgerlichen Daseins entspricht Regisseurin Krebitz auch in der formalen Annäherung. Immer wieder lässt sie Monologe ins Leere laufen, reduziert die Farben in den Bilder, widersteht aber allzu radikalen, verstörenden Gesten, die den Zuseher aus dem Erzählfluss befördern könnten. Dadurch öffnet der Film auch Identifikationsräume. Der Film "Wild" meidet eine vorsätzliche Verklärung und Sentimentalisierung im Verhältnis von Mensch und Tier, hat aber dennoch einen unvermeidbar romantischen Kern. Denn wer stressgeplagt in materiellem Überfluss und -druss verharrt, für den enthält diese Verwilderung auch eine verlockende Rückzugsfantasie.

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