Han Kang: "Die Vegetarierin"

Er war der erste Österreicher, der es auf die Shortlist des Man Booker International Prize geschafft hat: Robert Seethaler mit der englischen Übersetzung seines feinsinnigen Romans "Ein ganzes Leben". Gewonnen hat die mit 50.000 Pfund dotierte Auszeichnung heuer schließlich der Roman "The Vegetarian" der Koreanerin Han Kang. Die Jury hat "die Tiefe der Fremdartigkeit des Romans" gelobt. Jetzt ist "Die Vegetarierin" auf Deutsch erschienen.

Morgenjournal, 13.08.2016

Rückzug aus der Gesellschaft

Dass es sich bei "Die Vegetarierin" um einen Roman handelt, der durch seine Fremdartigkeit auffällt, ja sogar verstört - daran lässt gleich das Buchcover keinen Zweifel: Aus einem üppigen Blumenarrangement ragen da ein rohes Stück Fleisch, vier Finger und eine Zunge hervor.

Dabei fängt die Geschichte ganz harmlos an: Ein Ehemann erzählt von seiner unscheinbaren Frau - mittelgroß, farblose Kleidung, schlichte Schuhe -, die eines Tages beschließt, kein Fleisch mehr zu essen. Gleichzeitig verschließt sie sich aber und zieht sich immer mehr aus der Gesellschaft zurück. Sie glaubt, dass sie zu einer Pflanze wird und verweigert schließlich jede Nahrungsaufnahme, erklärt Autorin Han Kang.

Kurzgeschichte als Impulsgeber

Die 45-jährige Han Kang stammt aus einer Literatenfamilie. Mit 23 veröffentlichte sie in Zeitschriften erste Gedichte, kurz darauf brachte sie ihren ersten Erzählband heraus. Eine Kurzgeschichte war es übrigens auch, die den Anstoß zu ihrem preisgekrönten Roman "Die Vegetarierin" geliefert hat.

"1997 habe ich eine Kurzgeschichte mit dem Titel 'Die Früchte meiner Frau' geschrieben. Es ging darin um eine Frau, die sich plötzlich in eine Blume verwandelt. Als ihr Ehemann abends von der Arbeit nach Hause kommt, setzt er sie in einen Blumentopf, gießt und pflegt sie. Als sie schließlich verwelkt, fragt sich der Ehemann, ob er sie im Frühling wieder zum Blühen bringen kann. Damit endete die Geschichte. Für mich blieb aber das Gefühl, ich sollte das Thema noch einmal in anderer Form behandeln."

Mehrfach wechselt Han Kang in ihrem Roman die Perspektive: erzählt die Geschichte aus der Sicht des Mannes der Frau, aus der Sicht ihres Schwagers und ihrer Schwester. Daneben drängen auch dunkle Schatten der Vergangenheit in Gestalt von Träumen in die Gegenwart hinein. Brüchig wird die Wirklichkeit dadurch und doppelbödig, weshalb einige Kritiker "Die Vegetarierin" auch mit den Romanen Haruki Murakamis verglichen haben. Han Kang gibt aber auch tiefe Einblicke ins koreanische Familiengefüge. Etwa, wenn der Vater die erwachsene Frau mit Gewalt dazu zwingen will, wieder Fleisch zu essen.

Vollkommene Unschuld

Han Kang: "Ich hoffe, dass mein Roman eine universelle Bedeutung hat. Für mich ging es um weit mehr als um eine Kritik an der koreanischen Gesellschaft und dem Patriarchat, das noch immer in weiten Teilen herrscht. Mich hat das Thema der menschlichen Gewalt interessiert und der Versuch einer Frau, diese Gewalt abzustreifen und zu einer vollkommenen Unschuld vorzudringen. Das war die zentrale Frage für mich: Ob ein Mensch zu einer derart absoluten Reinheit überhaupt fähig ist."

Wie Han Kang gesellschaftspolitische Phänomene aufgreift und sie auf eine höhere, fast metaphysische Ebene hebt, das macht ihren Roman "Die Vegetarierin" so unverkennbar. Denn da treffen sich dann nicht nur das Private und das Politische, sondern auch Alltag und Mythos.

Service

Han Kang, "Die Vegetarierin", Roman, aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee, Aufbau Verlag

Gestaltung

  • Wolfgang Popp