Kriegsfotograf Simon Norfolk

Der britische Fotograf Simon Norfolk bezeichnet sich ganz unverfänglich als Landschaftsfotografen, seine Bilder entstehen aber an den großen Kriegsschauplätzen der Welt: in Afghanistan genauso wie im Irak. "Mein Thema sind Schlachtfelder", gibt Norfolk auch ganz unumwunden zu. Wie er diese Schlachtfelder inszeniert, das macht ihn allerdings zu einer Ausnahmeerscheinung in der Gegenwartsfotografie.

Ruinen

BEIJING PHOTO BIENNIAL/SIMON NORFOLK

Doch so geschätzt und gefragt seine Bilder bei Sammlern und auch bei Museen sind, mit seinen kontroversiellen Ansichten macht sich Simon Norfolk nicht nur Freunde. Hierzulande waren Norfolks Bilder bereits im Kunst Haus Wien zu sehen, wo der Fotograf vor kurzem auch einen Workshop abgehalten hat.

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Simon Norfolk

Kulturjournal, 16.8.2016

Wie ein Gemälde von Claude Lorrain

Eine von Simon Norfolks bekanntesten Aufnahmen zeigt das Nordtor von Bagdad. Altorientalischen Vorbildern nachempfunden, hatte es Saddam Hussein errichten lassen, um seine Herrschaft an die der alten babylonischen Könige anzuschließen. Das Tor ist zerschossen und unweit davon liegt ein zerstörter Panzer im Sand. Was dieses Kriegsfoto aber ungewöhnlich macht, ist der Umstand, dass das gesamte Bildzentrum von einem Bach eingenommen wird, der im Schatten einer Baumgruppe friedlich dahinplätschert. Überhaupt wirkt das Ganze wie ein Landschaftsgemälde.

Genauso war’s auch gedacht, sagt Simon Norfolk und erzählt, dass er die romantischen Maler von Claude Lorrain bis Nicola Poussin im Gepäck hatte, als er in den Irak und nach Afghanistan fuhr: "Das waren die ersten Künstler, die Ruinen malten und damit auch die ersten, die sich gegen den Imperialismus ihrer Regierungen wandten. Denn diese Bilder erzählten doch, dass selbst die mächtigsten Reiche auch wieder untergegangen sind. Deshalb wollte ich in genau diesem Stil fotografieren. Die afghanische Landschaft sollte aussehen wie ein Gemälde von Claude Lorrain. Auch weil die Leute, die Afghanistan für eine verwüstete Wildnis halten, mit so einem Afghanistan-Bild überhaupt nicht rechnen."

Heute ein Anachronismus

Man merkt schnell, dass Simon Norfolk mit der heutigen Kriegsfotografie seine Probleme hat. Ein Anachronismus sei sie, meint Norfolk, weil sie in den 30er- und 40er-Jahren entstanden sei, im Spanischen Bürgerkrieg und im Zweiten Weltkrieg. Damals haben Robert Capa und seine Kollegen mit den damals neuen und handlichen Kleinbildkameras mit schnellen Verschlusszeiten und Schwarzweiß-Film fotografiert. Da entstanden dann aus nächster Nähe intensive Bilder voller Gewalt. Was damals gut funktionierte, weil sich noch tatsächlich Soldaten auf den Schlachtfeldern gegenüberstanden.

"Das Problem ist, dass die Kriege heute von Drohnen gefochten werden, dass es psychologische Kriegsführung gibt und man den Gegner besiegt, indem man in seine Computersysteme Viren einschleust", so Simon Norfolk. "So etwas lässt sich nicht auf Capas alte Art mit einer Leica auf 35-Millimeter-Film bannen. Und trotzdem halten die meisten Fotografen daran fest und gewinnen auch noch den World Press Award mit Bildern von Soldaten, die mit Gewehren aufeinander schießen.

Damit Krieg nicht zur Privatsache wird

Was aber bedeutet das für Fotografen? Sollen sie den Kampfplatz anderen kampflos überlassen? Simon Norfolk: "Wir müssen Fotos vom Krieg machen. Für die öffentliche und demokratische Debatte ist es ganz wichtig, dass diese Themen angesprochen werden. Krieg wird sonst zu einer Privatsache, die von einer Handvoll Generälen und Politikern betrieben wird. Dass Dinge unsichtbar werden, nur weil sie sich schwierig darstellen lassen, halte ich für genauso gefährlich wie eine Diktatur. Es ist nicht unmöglich, die richtigen Bilder zum Thema Krieg zu finden, es ist nur so richtig schwierig, aber verdammt, das ist nun mal unsere Arbeit."

Schlachtfelder sind seit 15 Jahren das große Thema Simon Norfolks. Auch das hat mit seinem Interesse an den Künstlern und Denkern der Romantik zu tun, denn genau wie jene fasziniert ihn das Konzept des Erhabenen, einer Ansicht, die einen gleichzeitig Staunen und Schaudern lässt. Simon Norfolk: "Wo lässt sich heute noch diese Mischung aus Schönheit und Schrecken finden? Auf dieser gottlosen Welt sind es nur mehr die Orte, an denen man sehen kann, was eine moderne Militärmaschinerie aus Landschaften, Gebäuden und Menschen macht. Das sind Orte der Erhabenheit, an denen man sich vollkommen machtlos, allein und überwältigt fühlt. Denn hier steht man einer Schönheit gegenüber, die einen gleichzeitig nicht vergessen lässt, dass sie Körper zerriss, Kinder tötete und ganze Landstriche auslöschte."

Tarnung Landschaftsfotograf

Obwohl der Krieg und seine Zerstörungen sein großes Thema sind, ist Simon Norfolk die Bezeichnung Kriegsfotograf unangenehm. Viel besser gefalle ihm da, sagt Norfolk mit einem ironischen Grinsen, das Etikett Landschaftsfotograf: "Mit dieser Bezeichnung bekomme ich weniger Probleme. Ich könnte mich auch Revoluzzer-Provokateur nennen, aber das wäre nicht sehr hilfreich, wenn ich das nächste Mal um eine Zugangsbewilligung für ein Militärcamp ansuche. Landschaftsfotograf hört sich hingegen harmlos an. Diese Bezeichnung ist wie eine Tarnung, weil ich damit für jemanden gehalten werde, der Ansichtskarten fotografiert."

"Fotografie ist für mich keine Kunst"

Seine Bilder veröffentlicht Simon Norfolk auf verschiedene Weise. Als hochpreisige Drucke in niederer Auflage werden sie von Sammlern und Museen wie etwa der Tate Modern angekauft. Daneben bringt Norfolk in regelmäßigen Abständen Bildbände heraus. Viel wichtiger ist ihm aber der freie und demokratische Zugang zu seinen Bildern, deshalb stellt er sie allen zugänglich auf seiner Web-Site aus. Eine öffentliche Debatte auszulösen sei ihm auch viel wichtiger, sagt Simon Norfolk, als in Kunstkreisen diskutiert zu werden: "Ehrlich gesagt, und auch wenn mich das jetzt zu einem Ketzer macht, ist Fotografie für mich keine Kunst. Manche würde mich für diese Aussage wahrscheinlich steinigen, aber was soll ich machen. Ich halte Fotografie für ein Handwerk und für eine Sprache, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie in Kunstgalerien gezeigt werden sollte."

Das perfekte Licht

Dabei ist Simon Norfolk ein wahrer Zauberer, wenn es um das Einfangen von Lichtstimmungen geht. Kein Zauber sondern perfekte Planung, winkt Simon Norfolk ab und verweist auf die pedantische Vorbereitung seiner Foto-Sessions, denn das perfekte Licht gibt es oft nur für wenige Minuten. Norfolk greift da gerne auf Apps zurück, die für jeden Tag und jeden Ort der Welt, die exakte Zeit von Sonnenaufgang und -untergang angeben und dazu den genauen Einfallswinkel der Sonne. Anhand dieser Angaben erstellt Norfolk seinen strikten Zeitplan, steht oft mitten in der Nacht auf, schläft dafür über Mittag, wenn es nur schlechtes Licht gibt, und steht dafür zur blauen Stunde und zur Abenddämmerung wieder mit seinem Fotoapparat parat. Der übrigens eine Digitalkamera ist.

Simon Norfolk: "Ich bin 2010 auf Digitalfotografie umgestiegen, als ich nach Afghanistan gegangen bin. Damals wollte ich auch in amerikanischen Militärlagern fotografieren, die wollten aber sofort Einsicht nehmen in meine Bilder, deshalb blieb mir gar nichts anderes über, als mit einer digitalen Kamera zu arbeiten. Ich kaufte mir also dieses unglaublich teure Gerät und jetzt muss ich sie verwenden, solange sie noch etwas wert ist. Deshalb bin ich bis heute nicht zur Analogfotografie zurückgekehrt."

Historische Tiefenforschung

Mit seiner Kamera betreibt Norfolk nicht weniger als historische Tiefenforschung. Am liebsten an Orten, die einiges erlebt haben wie Beirut, Jerusalem oder Auschwitz. Simon Norfolk: "Oft kommt es mir so vor, als wäre es diesen Orten ein Bedürfnis ihre Geschichte zu erzählen, ja als wollten sie all das Gift herauswürgen, das sich in ihrer Vergangenheit angesammelt hat. Ich halte Orte und Landschaften deshalb auch für äußerst zuverlässige Quellen."

Und so reist Simon Norfolk rund um die Welt als Sprachrohr für Orte, die im öffentlichen Diskurs nur mehr verkürzt auf ihre symbolhafte Wirkung oder Klischees vorkommen. Simon Norfolk: "Mein Job ist es eigentlich, Dinge auszugraben, den Staub herunterzublasen und dann diese Fundstücke herzuzeigen. Wahrscheinlich bin ich also gar kein Fotograf, sondern Archäologe."