Jugendwohlfahrt: Pflegefamilien bestes Modell

Professionelle Pflegeeltern - das soll ein neues Berufsbild werden, wünschen sich Experten bei der Weltkonferenz für Kinderhilfe und Jugendwohlfahrt in Wien. Sie fordern im Sinne der Kinder die Förderung von Pflegefamilien statt Kinderheimen oder betreuten Wohngruppen.

Mittagsjournal, 26.8.2016

Möglichst familienähnlich aufwachsen

Kinder sollen möglichst in der eigenen Familie aufwachsen - und wenn das nicht geht dann familienähnlich, das ist eine der Kernaussagen der Tagung, die vom weltweiten Kinderrechte-Netzwerk FICE veranstaltet wurde. Und Hermann Radler, Präsident von FICE-International sagt über Pflegeeltern: "Das wäre aus der Sicht der Beziehungsarbeit die beste Unterbringung, weil natürlich zwei Leute oder ein Elternpaar viel eher in der Lage sind, eine stabile Beziehung zum Kind aufzubauen als ein Betrieb, wo die Mitarbeiter wechseln und Schichtdienst ist."

Verlust von Betreuern kann retraumatisieren

Dazu kommt: Wenn Betreuer in Wohngruppen den Job wechseln, könne die Trennung für Kinder, die ja schon von ihren Eltern getrennt wurden, retraumatisiernd sein. "Wenn ich schon so viele Verluste in meinem Leben gehabt habe, dann habe ich das Riesenproblem. Dann bin ich der, der eigentlich das Kind retraumatisiert."

Nur kleine Kinder sind gefragt

Aber Pflegeeltern finden sich in Österreich meist nur für kleine Kinder. Radler will für ältere und schwierige Kinder mit schwerer Vergangenheit Profi-Pflegeltern und ein Bundes-Gesetz aus dem Familienministerium: "Die Etablierung eines neuen Berufsbildes der professionalisierten Pflegeeltern. Wenn ich als Staat wirklich will, dass es mehr Kinder bei Pflegeeltern sind, dann muss ich die Strukturen dafür schaffen und die sind momentan im Gesetz nicht gegeben."

Viele Staaten sind weiter

Die Liste der Staaten, die Österreich etwas voraus haben, was die Bereitschaft und die Zahl der Pflegeeltern betrifft ist lang: "Viele ehemalige Oststaaten aber natürlich auch Holland, Kanada, die Vereinigten Staaten, Australien, viele Entwicklungsländer, weil es dort nicht die Infrastruktur von Heimen gibt aber auch die arabischen Staaten. dort gibt es viel Verwandten-Pflege"

Ö: 6.000 Heimkinder, 5.000 Pflegekinder

In Österreich leben laut Radler rund 6.000 Kinder Wohngruppen, rund 5.000 bei Pflegefamilien. in Kanada ist das Verhältnis ganz anders, sagt Kiaras Gharabaghi, Professor für Sozialpädagogik aus Toronto. "In Kanada sind weit über 80 Prozent der Kinder, die fremduntergebracht sind, in Pflegefamilien."

Kontrolle und Unterstützung nötig

Freilich gibt es keine Garantie, dass es in Pflegefamilien nicht zu Überforderung kommt. In der österreichiscehn Geschichte gibt es auch traurige Erfahrung mit Fällen von Ausbeutung in der Landwirtschaft und sexuellem Missbrauch durch Pflegeltern. Daher brauche es Kontrolle und Begleitung: "Wir brauchen Pflegefamilien, die voll-unterstützt sind. Aber es ist noch immer billiger, als eine Heimunterbringung oder eine WG-Unterbringung und natürlich auch billiger als die Unterbringung in einem Jugendgefängnis oder in der Psychiatrie", sagt FICE-Präsident Radler.

Appell an Heimbetreiber

Radler appelliert an Interessierte, sich zu melden - aktuell auch als Pflegeeltern für minderjährige Flüchtlinge. Wohngruppen haben laut Radler freilich auch Vorteile. Aber er lässt vorsichtig den Wunsch durchklingen: Die großen Wohngruppen-Betreiber mögen nicht aus rein wirtschaftlichem Interesse auf die Beibehaltung der derzeitigen Situation in Österreich bestehen.