Verschwundene Flüchtlingskinder

Es immer wieder vor, dass minderjährige Flüchtlinge aus ihren Betreuungseinrichtungen verschwinden. Wie viele genau, ist nicht ganz klar. Die Kinder- und Jugend-Staatsanwaltschaft kritisiert, dass die Polizei nicht nach vermissten Flüchtlingskindern sucht.

Morgenjournal, 30.8.2016

In Österreich sind heuer und im Vorjahr 2.600 Kinder und Jugendliche als vermisst gemeldet worden, die nicht aus der EU stammen. Darunter waren 620 unter 14-Jährige. Die meisten dürften Asylsuchende sein. 80 Prozent sind zwar wieder aufgetaucht. Aber die Kinder- und Jugendanwaltschaft kritisiert, dass die Polizei nicht aktiv sucht nach den immer noch hunderten vermissten Flüchtlingskindern. Konkret befürchtet die Salzburger Kinderanwältin, dass eine 16-Jährige Afrikanerin Opfer von Menschenhändlern und Zuhältern geworden sein könnte.

Verschwinden zur Kenntnis genommen

Vor acht Monaten ist die 16-jährige Amina Diallo aus Traiskirchen verschwunden. Sie war dort gemeinsam mit ihrem Bruder untergebracht - allerdings in unterschiedlichen Gebäuden. Am 19. Jänner besucht sie den Bruder beim Küchendienst, vereinbart ein Treffen eine Stunde später, kommt dann aber nicht, erzählt er. Auch zu einem Arzttermin am selben Tag erscheint Amina nicht, schildert Kinderanwältin Andrea Holz-Dahrenstädt: "Unsere Befürchtung ist, dass sie Opfer von Menschenhandel oder Prostitution geworden ist. Und wenn man sich vorstellt, ein 16-jähriges Mädchen, bildhübsch, verschwindet einfach am helllichten Tag aus einem überfüllten Aufnahmezentrum und es wird eher achselzuckend zur Kenntnis genommen, dann macht mich das sehr betroffen."

Die Polizei habe nie aktiv nach der mittlerweile 17-Jährigen gesucht. Bruder Ibrahim ist mittlerweile in Salzburg untergebracht. Weil Amina damals auch am Telefon nicht mehr erreichbar war, hat er sie einen Tag nach dem Verschwinden am Posten Traiskirchen als vermisst gemeldet: "Ich bin zur Polizei gegangen und habe gesagt, meine Schwester wollte mich gestern treffen und seither ist sie verschwunden, ich weiß nicht was ich tun soll. Sie haben gesagt ich muss warten. Ich weiß nicht, ob es eine technische Methode gegeben hätte, das Telefon zu orten. Sie haben immer gesagt, ich muss warten."
Aminas Asylverfahren wurde eingestellt und die Polizei hat sie als vermisst ins Schengener Informations-Computersystem eingetragen. Wenn sie in Europa kontrolliert würde, müsste das auffallen.

Laut Bundeskriminalamt sind, von 2.600 minderjährigen Nicht-EU-Bürgern, die im Vorjahr und heuer in Österreich als vermisst gemeldet wurden, 2.080 wieder aufgetaucht. Bleiben aber 520 Vermisste, davon 230 unter 14-Jährige. Doch Bundeskriminalamts-Chef Franz Lang relativiert: Viele Asylwerber geben sich nur als unter 18-jährige aus oder geben erst in ihrem eigentlichen Zielland ihren richtigen Namen an, sagt er: "Dann kommt eine sehr kleine oder relativ kleinere Zahl heraus. Trotzdem, wir haben europaweit Projekte, die sich speziell mit dem Phänomen Menschenhandel beschäftigen. Und sobald wir Phänomene, Strategien und Methoden von Menschenhändlern erkennen, greifen wir ein."

Bei Amina war das nicht der Fall. Aus dem Innenministerium kommt auch das Argument, sie habe ihre gesamte Kleidung mitgenommen aus dem Lager. Kinderanwältin Holz-Dahrenstädt entgegnet: Amina sei mit ihrem Bruder aus Guinea geflohen, weil sie dort zwangsverheiratet werden sollte. Der Bruder sei ihr Beschützer gewesen: "Man stelle sich vor, Kinder verschwinden aus einer Familie, dann wird dem viel mehr nachgegangen. Oder man stelle sich vor, Kinder verschwinden aus Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Da hat man auch keine konkreten Hinweise, dass die Opfer von Menschenhandel wurden aber das werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um diese Kinder zu finden." Dabei seien minderjährige Flüchtlinge auch laut UNO eine besonders gefährdete Gruppe.