Musiktheatertage zum Thema Weltflucht

Die Stimmung im Land wird immer nervöser. Kriege und Krisen lassen sich immer weniger aus der Wahrnehmung ausblenden. Auf solche Entwicklungen reagieren wir mit der Sehnsucht nach Weltflucht. Genau um diese Weltflucht geht es bei der zweiten Ausgabe der Musiktheatertage im Werk X. Fünf Produktionen zeitgenössischen Musiktheaters umkreisen das Thema.

Thomas Desi und Georg Steker

Die künstlerischen Leiter der Musiktheatertage Wien, Thomas Desi und Georg Steker

Marko Lipus

Morgenjournal, 30.8.2016

Service

Musiktheatertage Wien
30. August bis 11. September 2016

Kafkaesker Alptraum "The Butt"

Da macht zum Beispiel ein älterer Mann mit seiner Familie Urlaub in einem exotischen Land. Eine Zigarette vor dem Schlafengehen verschafft ihm eine kleine Flucht aus Spannungen mit der Familie. Er wirft den Tschick zum Fenster hinaus. Durch diesen Verstoß gegen die strengen Nichtrauchergesetze des Urlaubslandes gerät er in einen kafkaesken Alptraum. "The Butt", die Zigarettenkippe, heißt der Einakter der englischen Komponistin Susie Self, nach dem Roman des gefeierten Schriftstellers Will Self.

Weltflucht, Eskapismus ist negativ besetzt. Aber der Mensch braucht Fluchträume, gibt der Komponist und Regisseur Thomas Desi, einer der beiden Festivalleiter, zu bedenken. "Wir leben in einer Welt, die zunehmend unsere Fluchtmöglichkeiten verringert und nicht vergrößert. Wir sitzen in einer totalen Fale. Weil wir auch keine Kultur haben im Sinn dessen, was passiert mit uns, wenn wir uns ein bisschen aufgeben und schweben wollen. Dafür haben wir keine wirkliche Kultur, sondern es ist in eine Subkultur verdrängt. Als Drogen und Substanzen. Der Drogenhandel ist ja jetzt schon ein derart riesiger Markt, dass man wirklich unsere geistigen Fluchträume zulassen müsste. Und für die müssen wir auch kämpfen."

Smartphone-Oper "Smartopera"

Suchtartiger Konsum von Facebook, Instagram und Co. kann auch eine Form von Weltflucht sein. Mit seiner Smartphone-Oper "Smartopera" will Thomas Desi das Publikum jedoch in die Welt der realen physischen Kommunikation zurückholen. "60 bis 80 Prozent der Leute checken auch am Klo ihr Smartphones. Ich habe mir gedacht, es wäre interessant, das Publikum selbst ein Stück spielen zu lassen, und die Anweisungen dafür kommen über ihr Smartphone. Das heißt, jeder bekommt eine App - die heißt Smartoper - und es geht mir nicht um das Telefon, sondern darum, dass die Leute in einem Raum mit unbekannten Menschen kommunizieren."

Stationentheater zur sozialen Unordnung

Und der Installationskünstler Thomas J. Jelinek hat mit dem Komponisten Jorge Sanchez-Chiong eine Musiktheater-Installation zum Thema Entropie - soziale Unordnung - entwickelt. Eine Art Stationentheater, mit verschiedenen Expert/innen, die vom Publikum befragt werden können, erklärt der Regisseur und zweite Festivalleiter Georg Steker: "Zum Beispiel ein Philosoph, eine Fotografin, die Tattoos kleben wird, eine syrische Flüchtlingsfrau, die Mathematikerin in ihrer Heimat war und darüber erzählen wird. Im Hintergrund geht’s natürlich darum, was ist der Zerfallsprozess, der uns politisch begleitet. Das schwingt mit."

Übersicht