Berlin: Die Geschichte des Golem

Die prominenteste jüdische Legendenfigur ist der Golem. Ein künstlicher Gefährte, vom Menschen erschaffen aus Lehm. Es geht um den alten Menschheitstraum vom Lebendigmachen von unbelebter Materie. Im Berliner Jüdischen Museum wird ab heute eine Umfangreiche Ausstellung gezeigt, mit historischen Bezügen und Arbeiten zeitgenössischer Künstler, die sich bis heute vom Mythos des Golems inspirieren lassen.

Morgenjournal, 23.9.2016

Anziehend und bedrohlich zugleich

Gleich zu Beginn der Ausstellung wird der Besucher mit einer überlebensgroßen Skulptur aus Drahtteilen, Kabeln und Lampen begrüßt - eine lichtdurchflutete Monstergestalt, die aus dem Boden aufsteigt und gleichzeitig anziehend und bedrohlich wirkt. Eine zeitgenössische Arbeit, inspiriert durch einen Mythos, der seinen Ursprung in der hebräischen Bibel hat.

Ursprünglich ist der Golem eine künstliche Figur aus Lehm und Erde, von Menschen gemacht, die mit diesem Akt der Schöpfung versuchen, Gott nachzueifern, sagt die Ausstellungsdirektorin Cilly Kugelmann. "Die Legende schreibt Rabbi Löw in Prag im 16. Jahrhundert zu, dass er in Zeiten der Bedrängnis so ein Wesen geschaffen hat, das jeden Abend streben musste und am nächsten Tag wieder aufgewacht ist. Als einmal vergesse wurde, die Sterbensformel zu sprechen, ist dieses Wesen durchgedreht und ist zerstörerisch geworden."

Der Traum vom Schöpfen

Seit dieser Legende hat der Golem weltweit Karriere gemacht und sich zu einer sehr populären Figur entwickelt. In der Schau im Jüdischen Museum findet man mittelalterliche Rezepte zu Herstellung eines Golem genauso wie moderne Theaterkostüme, Superhelden-Comicfiguren aus Plastik, und zeitgenössische Kunstwerke, die durch das Golem-Motiv inspiriert sind.

Im Grunde sagt Cilly Kugelmann, gehe es um den ewigen Menschheitstraum, dem Göttlichen nachzueifern und selbst als Schöpfer tätig zu werden. Egal ob als Künstler, oder als Forscher. "Etwas zu erschaffen, was man am Ende nicht mehr kontrollieren kann. Das ist etwas, das als Idee und als philosophischer Hintergrund auch in die Forschung Einzug hält. Wenn man sich überlegt, was die chemische, die medizinische, die technische Forschung an Schöpfungserrungenschaften leistet, von denen man nicht weiß, welche Konsequenzen das am Ende haben kann."

Dieser uralte Traum, künstliche Geschöpfe zum Leben zu erwecken, und die damit verbundenen Ängste seien heute im Zeitalter des rasenden Fortschritts aktueller denn je, ergänzt der Direktor des Berliner Jüdischen Museums Peter Schäfer.

Plädoyer für Schwarmintelligenz

Gerade in Krisenzeiten werde nach Möglichkeiten und Persönlichkeiten gesucht, die Lösungen anbieten. Doch in den allermeisten Golem-Geschichten folgt am Ende nicht die Erlösung, sondern der Kontrollverlust. Das Geschöpf läuft Amok. Und das sagt, Cilly Kugelamnn sei eine ganz entscheidende Botschaft.

"Die komplexen Probleme, mit denen die Menschheit immer konfrontiert war und auch heute konfrontiert ist, können nicht von einem Wesen gelöst werden. Es bedarf einer intelligenten Gesellschaft, die ihre Probleme löst. Und ich fände es absolut fatal, wenn nicht das Hoffen auf eine Erlöserfigur am Ende negativ interpretiert wird." Und so ist diese vielschichte Ausstellung auch ein Plädoyer dafür lieber auf Schwarmintelligenz zu vertrauen, als den Erlösungsversprechen einer einzelnen Figur zu folgen.

Service

Jüdisches Museum Berlin – Golem
23. September 2016 bis 29. Jänner 2017