Von Bernhard Heinzlmaier

Anpassen, Mitmachen, Abkassieren

Wir kommen, um uns zu beschweren, so nannte die deutsche Band Tocotronic im Jahr 1996 nicht nur einen Song, sondern gleich das ganze Album. 20 Jahre später ist das lautstarke Beschweren der damaligen Generation X über eine haltlose, verlogene Gesellschaft einer weit verbreiteten inneren Einkehr und Resignation gewichen. Zukunfts- und Abstiegsängste stehen auf der einen, Selbstoptimierungswahn im Neoliberalismus auf der anderen Seite. Der Wiener Markt - und Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier setzt sich mit diesem Ego-Trend auseinander: "Anpassen, Mitmachen, Abkassieren – Wie dekadente Eliten unsere Gesellschaft ruinieren" heißt sein eben erschienener Essayband.

Kontext, 30.9.2916

Hanna Ronzheimer

Bernhard Heinzlmaier leitet ein Hamburger Marktforschungsunternehmen und ist seit über 20 Jahren in der Jugendforschung tätig. Mit den Bildern einer zerrütteten Familie beschreibt Heinzlmaier den Niedergang von Wirtschaft und Politik. Da wären zuerst einmal die traditionellen Großparteien, die Christ- und Sozialdemokraten. Für Heinzlmaier "geistig ideologische Senioren der Gegenwartspolitik".

Bernhard Heinzlmaier meint es bitterernst mit seiner Diagnose über den Zustand der westlichen Demokratien. Sein Panoptikum an Düsterkeiten umfasst: Eine dekadente Elite, die sich vom Rest der Gesellschaft längst abgekoppelt hat und den egozentrischen Lustgewinn vor allem in Äußerlichkeiten sucht. Eine Unterschicht, die zunehmend brutaler und mißgünstiger gegenüber jenen auftritt, die noch weniger haben – und die von einer realitätsfernen Oberschicht immer weiter dort hingetrieben wird.

Heinzlmaiers sehr subjektiv gehaltener Rundumschlag ist nicht depressiv, sondern vielmehr richtig wütend: Auf verlogene Charity-Aktionen der Bourgeoisie. Auf Altersheime, die als Wirtschaftsbetrieb geführt werden wie eine Fischfabrik. Her mit der schlechten Laune, ruft er uns zu. Hauptsache, wir haben wieder Gefühle, die nicht durch den Kauf von Konsumgütern ausgelöst werden. Zuweilen trägt er etwas sehr dick auf – etwa wenn er den typischen Businessmenschen pauschal als hirnlosen Deppen beschimpft, ihm ein hohles Leben und eine unglückliche Beziehung unterstellt.
Mit seiner Kernaussage trifft Heinzlmaier aber das Grundproblem unserer Gesellschaft ziemlich gut. Die zunehmende Vereinzelung ist eine Überforderung für den Menschen. In einer Welt ohne Solidarität und Empathie treibt uns die Angst in den religiösen Fanatismus, in kapitalistische Glücksversprechen oder in die Arme rechtspopulistischer Parteien. Was fehlt, ist allerdings weiterhin eine Alternative.

Service

Bernhard Heinzlmaier, "Anpassen, Mitmachen, Abkassieren", Hirnkost Verlag