Serbien und seine überfüllten Flüchtlingslager

Nadelöhr in die EU

Die EU-Flüchtlingspolitik hat Tausende an den Außengrenzen der Union stranden lassen. Allein in Serbien warten zwischen 7.000 und 10.000 Menschen auf die Weiterreise.

"Wir müssen die EU-Außengrenze sichern." Das haben wir von österreichischen Politikern oft gehört in den vergangenen Monaten. Und tatsächlich, Kroatien und Ungarn haben ihre EU-Außengrenze zu Serbien in den vergangenen Monaten weitgehend dicht gemacht. Eine Folge ist, dass in Serbien laut offiziellen Angaben 7.000 Flüchtlinge gestrandet sind.

Laut Hilfsorganisationen aber sind es rund 10.000. Vor allem Familien und Kinder wurden in überfüllten Flüchtlingslagern untergebracht, rund 2.000 Männer aber wohnen im Freien - etwa in Belgrad - in aufgelassenen Lagerhallen. Sie alle wollen die Hoffnung auf Weiterreise nicht aufgeben.

  • Demonstration

    Improvisierte Demonstration Afghanischer Flüchtlinge

    ORF/BERNT KOSCHUH

  • Männer am Lagerfeuer

    Feuer gegen die Kälte auch in den Hallen, dabei gelangen aus den geteerten Bahnschwellen giftige Dämpfe in die Atemluft.

    ORF/BERNT KOSCHUH

  • Afghanische Flüchtlinge

    Ruß in den Gesichtern afghanischer Asylsuchender.

    ORF/BERNT KOSCHUH

  • Lagerhalle

    Verrußte Lagerhallen als improvisierte Schlafstellen.

    ORF/BERNT KOSCHUH

  • Zelt

    Überfüllte Flüchtlingslager, Bett an Bett in Adasevci

    ORF/BERNT KOSCHUH

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Ö1 Mittagsjournal

Reportage von Bernt Koschuh

Demonstrationen in Belgrad

"Open borders" ("Öffnet die Grenzen"), rufen mehrere hundert Afghanen und Pakistani nahe dem Busbahnhof von Belgrad. Neben der kleinen Demonstration verteilt die Hilfsorganisation "Hot Food Idomeni" 1000 Portionen Eintopf. Das einzige Essen am Tag - für manche, die immer noch hier in Belgrad in kalten Lagerhallen schlafen, sagt die deutsche Helferin Pia. Was sie erschreckt sind Erfrierungen: "Ich hab noch nie Fälle von Hypothermie gesehen", sagt sie, "also das ist hier das erste Mal, dass ich schwarze Finger und schwarze Zehen gesehen habe."

Goran Lakic, der im Flüchtlingszentrum in Belgrad arbeitet, erklärt: "Wenn sie aus Bulgarien kommen, müssen sie oft hundert Kilometer zu Fuß gehen und es ist kalt. Unsere Ärzte kümmern sich dann um die Erfrierungen, manche können kaum mehr gehen oder sie haben Nierenprobleme durch die Verkühlungen."

Warum aber gehen die Afghanen dieses Risiko ein, wo doch unsicher ist, ob sie in die EU gelangen und dort bleiben können?

„Wir sind keine Wirtschaftsflüchtlinge“

Wirtschaftliche Gründe sind nicht vorrangig, erklärt der 25-jährige Ruhula, einer der wenigen, die Englisch sprechen: "Das ist kein finanzielles Problem. Es muss ja jeder viel Geld besitzen, um mit Schleppern hierher zu kommen. Aber die meisten von uns kommen aus ländlichen Gegenden, wo die Stämme dominieren. Es gibt viele bewaffnete Gruppierungen - nicht nur Taliban und IS. Wenn Dir jemand eine Waffe an den Kopf hält und Dich zwingen will, dass Du seiner Gruppe beitrittst, was machst Du? Du hast keinen freien Willen. Das ist ein Hauptgrund, warum die jungen Männer kommen."

Giftige Dämpfe für ein wenig Wärme

Die Entbehrungen in den Lagerhallen - durch Eiseskälte und giftige Dämpfe, die beim Verheizen von geteerten Bahnschwellen am Lagerfeuer entstehen, muss der 25-Jährige Computerfachmann hier in Kauf nehmen. "Man atmet schwer und das Wasser ist halt eisig kalt, wenn Du es trinkst, dann kannst Du auch krank werden."

Etwas Erleichterung bringt das Flüchtlingszentrum, betrieben von Care und anderen Hilfsorganisationen und teils finanziert aus EU-Mitteln. Ein Zentrum, sagt Care-Sprecherin Katharina Katzer "wo die Flüchtlinge, die nicht registriert sind, hinkommen können, Wäsche waschen können, einfach sich aufwärmen und vor allem auch Duschen."

„Die meisten hier können nicht schreiben“

Das Angebot reicht nicht für alle, sagen die jungen Afghanen. Unterwegs sehen wir einen, der sich im Freien mit aufgeheiztem Wasser und bloßem Oberkörper wäscht, bei minus sieben Grad. "Wir Afghanen sind hart im Nehmen", sagt Ruhula. Dass sie in der EU zwar Sozialleistungen bekommen aber zunächst nicht arbeiten dürfen, versteht er nicht: "Die Afghanen sind harte Arbeiter. Und sie wollen kein Geld aus Sozialleistungen. Diese Regelungen in der EU sind nicht gut. Man zahlt den Leuten etwas aber man lässt sie nicht arbeiten."

Aber der westlich gesinnte und nicht religiöse junge Mann weiß auch, dass die Integration der jungen Männer nicht einfach wäre: "Die meisten können nicht einmal ihren eigenen Namen schreiben. Aber ich bin froh, dass diese Leute hier her gekommen sind. Sie werden lernen und versuchen, sich anzupassen und die nächsten Generationen werden dann nicht so streng religiös und engstirnig und traditionell denken wie ihre Vorfahren."

20.000 Euro für die Flucht

Ruhula selbst sitzt seit eineinhalb Monaten fest in Belgrad. Er hofft, bald Schlepper zu finden und ist überzeugt, dass er sein Wunschland Österreich erreichen wird aber "vielleicht wird Ihre Regierung mich nicht akzeptieren. In Bulgarien haben sie mir nämlich meine Fingerabdrücke genommen."

Er habe bisher besonders viel ausgegeben, 17.000 Euro, sagt der 25-Jährige. Mit Schlepper-Kosten von weiteren 3.000 Euro rechnet er. Sein Ziel nicht zu erreichen, wäre für ihn eine persönliche, aber auch finanzielle Katastrophe.

Service

Care Österreich
Refugee Aid Miksaliste

Die Reportage hören Sie im Samstags-Mittagsjournal.