... in der Albertina

Schiele kann man noch neu entdecken...

Von Schiele hat man "eh schon alles gesehen"? Irrtum. 160 Zeichnungen und Aquarelle in der Wiener Albertina liefern ein viel facettenreicheres Schiele-Bild als das gängige.

Egon Schiele, Selbstbildnis mit Pfauenweste, 1911

Egon Schiele, Selbstbildnis mit Pfauenweste, 1911 (Ausschnitt)

Ernst Ploil, Wien

Wenn in Österreich eine Egon Schiele-Ausstellung angekündigt wird, mögen Kunstinteressierte meinen: business as usual. Schön, aber nichts Neues, denn: Schiele kennt "man". Dass das so nicht stimmt, beweist die große Schiele-Schau in der Wiener Albertina. Zur Eröffnung wird auch der Künstler Gottfried Helnwein sprechen, unter dem Motto "Mein Schiele".

Korrektur eines einseitigen Schiele-Bilds

Ein Künstler, der sich im Selbstporträt als ein getriebener, leidender, charismatischer Außenseiter ausstellt; entblößte Frauen und junge Mädchen, die ihren Körper und ihre Erotik in überwältigender Direktheit präsentieren: Daraus besteht das gängige Schiele-Bild. Ein recht einseitiges Bild; es beruht darauf, dass die allermeisten Werke von Schiele selten ausgestellt und abgedruckt werden.

Egon Schiele hat in seinen nur 28 Lebensjahren über 330 Gemälde geschaffen, und über 2.500 (!) Zeichnungen und Aquarelle. Die letzteren kann man immer nur kurz zeigen. Denn, so der Direktor und Ausstellungskurator Klaus Albrecht Schröder: "Die Lichtempfindlichkeit seiner Arbeiten; die Tatsache, dass er sehr schlechte Papiere verwendet hat – mit einem großen Säuregehalt und Holzschliff – erlaubt einfach nicht, diese Werke öfter zu zeigen."

Ein Künstler, der Menschen mochte

Auf 160 Schiele-Blättern – die meisten circa im A3-Format – treten zum Beispiel auch ärmlich gekleidete Mädchen und Knaben aus damaligen Wiener Elendsquartieren auf den Plan. Oder mehrere befreundete Künstler. Man bekommt den Eindruck, dass Schiele ganz einfach Menschen mochte. Und ihnen - auch in der äußersten Entblößung der weiblichen Akte - immer ihre Würde ließ.

"Wir müssen Egon Schiele als einen zutiefst ernst moralischen Künstler, nicht als einen Erotomanen begreifen", zu diesem Schluss ist Klaus-Albrecht Schröder für sich gekommen.

"Wie er mit einem Aufschrei seine Zeitgenossen daran erinnert: 'haben denn die Erwachsenen vergessen, wie fasziniert wir vom Geschlecht waren als Kinder?' Dann können wir daneben ein Blatt halten, in dem sehr wohl die Lippen, die Brustwarzen und die Schamlippen gleißend rot herausleuchten, aber der Rest des Inkarnats ist aschgrau! Das ist ein Blatt, in dem die Exponiertheit als eine Gefahr, ein Rätsel, ein kaum geahntes Geheimnis zu sehen ist, und nicht als ein Vorläufer pädophiler Fantasien", so der Albertina-Direktor.

Gefängnisaquarelle und spirituelle Ideale

Zu seiner Zeit verfolgten Schiele Skandale unter anderem wegen seiner Mädchenaktbilder. Fast einen Monat lang war er ja in Neulengbach inhaftiert. Aquarelle aus dem Gefängnis spiegeln diese für ihn einschneidende Erfahrung. Die Ausstellung arbeitet – auch in Saaltexten – Schieles spirituelle Orientierung wie etwa seine Identifikation mit den Idealen des Franz von Assisi heraus.

An einigen Stellen der Schau konfrontiert Schröder die Schiele-Blätter mit wandhoch aufgezogenen Fotografien, die das Zeitmilieu rund um Schiele andeuten: "Ich will die Zeit zeigen, in der Kaiser Franz Joseph und Kaiser Wilhelm auf Pferden über die Schmelz reiten, und 25.000 Menschen unterirdisch in Wien obdachlos hausen – nicht wohnen – müssen; in der ein Gefälle zwischen reich und arm so gigantisch war, dass es jedes Vorstellungsvermögen überschreitet."

Schiele malte aber auch wunderbare Blumenaquarelle. Allein sie lohnen schon den Besuch dieser Ausstellung. Da auf Gemälde ganz verzichtet wurde, zeigt sich umso besser, dass die Zeichnungen und Aquarelle wohl der innovativste Teil des Schiele-Werks sind.

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Albertina - Egon Schiele