Richard David Precht: "Wie wollen wir leben?"

"Wie wollen wir leben? - Zwischen Selbstoptimierung, Weltrettung und Gelassenheit" - zu diesem Titel spricht heute Abend der Philosoph Richard David Precht im RadioKulturhaus. Vor zehn Jahren mit dem Bestseller "Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?" bekannt geworden, wird Precht seither in den deutschen Medien als Starphilosoph gehandelt.

"Europa wird durch Turbulenzen gehen"

Was wir jetzt erleben, ist nur ein zarter Auftakt, sagt Richard David Precht. Die gute Nachricht: An der Flüchtlingskrise wird Europa nicht zugrunde gehen. "Natürlich bedeutet es eine gewaltige Herausforderung für eine Gesellschaft, wenn sie so viele Menschen integrieren muss. Klarerweise könne die europäischen Länder nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen. Das hat ja auch niemand mehr vor. Ich glaube, dass wir die bereits aufgenommenen Flüchtlinge integrieren werden. Manche mit großem Erfolg, andere mit weniger Erfolg. Doch daran geht unsere Gesellschaft nicht zugrunde."

Richard David Precht

AMANDA DAHMS

Der Livestream aus dem RadioKulturhaus ist ab 18:30 Uhr aktiv.

Mittagsjournal, 2.3.2017

Eine gute und eine schlechte Nachricht

Die schlechte Nachricht: Im Zuge der Digitalisierung wird es zu einer Massenarbeitslosigkeit kommen, die schon in 20 Jahren etwa jeden zweiten Menschen ohne Arbeit dastehen lassen könnte. Precht meint, deutsche Politiker sollten jetzt das bedingungslose Grundeinkommen beschließen.

"Es gibt wahnsinnig viel Geld, es fließt nur nicht in die richtigen Quellen zurück. Was man besteuern muss, ist nicht die Arbeit. Besteuern muss man Gewinne und Finanztransaktionen. Wenn Sie jedes Mal, wenn Sie zum Geldautomaten gehen, 1 Prozent abgeben müssen an den Staat, bei jedem erdenklichen Geldgeschäft, dann macht das für Sie als Einzelperson nicht viel aus, Sie überleben das. Aber für diejenigen, die Milliarden um den Erdball schicken, da kommt richtig viel Geld zusammen - damit kann man das Grundeinkommen vermutlich finanzieren."

"Derzeit ist Europa ein Verband von Getriebenen, der nichts mehr vorantreibt"

Es müsse eine Wertediskussion geben, um der rein ökonomischen Vernunft etwas Sinnvolles hinzuzufügen. "Wir sind geprägt von einer rein ökonomischen Vernunft. Damit alleine lässt sich Europa nicht lenken. Was wir Werte nennen, das ist alles nur Folklore. Das erkennt man immer, wenn es ernst wird: Dann ziehen sich die Menschen aus dem europäischen Gedanken zurück ins Nationale. Europa ist im Herzen der Menschen noch nicht angekommen. Europa sollte ein Wohlstandsgenerator sein."

"Wir leiden an digitaler Gedankenverengung"

Für wichtig hält Precht in diesem Zusammenhang die Sprache. Derzeit konstatiert er eine digitale Gedankenverengung, die alles Denken und Fühlen auf ein simples "Like" oder "Dislike" reduziert. "Die Sprache verrät wie Menschen denken. Sie formt das Denken auch. Wenn ich Sprache banalisiere, wird das Denken banaler. Über die Sprache verliert man die Grau- und Zwischentöne - wobei gesagt sein muss, dass sich alles wesentliche im Leben genau in diesen Zwischentönen abspielt."

Seinen Kritikern gilt Richard David Precht als eine "philosophische Allzweckwaffe", die sich zu beinah jedem Thema äußert. Für seine vielen Fans ist er ein "Bürgerphilosoph", der die Menschen zum Selberdenken anregt, indem er komplexe Gedanken in verständlicher Sprache kommuniziert.

Service

ORF RadioKuturhaus - "Im Zeit-Raum" - Der Philosoph Richard David Precht im Gespräch mit Johannes Kaup