Zeina Arida, Direktorin des Sursock Museums

Mittwoch, 15. Februar 2017, 10.00 Uhr, in ihrem Büro im Museum

Ich bin Zeina Arida, die Direktorin des Sursock Museums, eines Museums für moderne und zeitgenössische Kunst. Es wurde in Beirut 1961 eröffnet und agiert seither mit Ausstellungen und auch mit dem Aufbau einer Sammlung als Museum moderner, zeitgenössischer, hauptsächlich libanesischer Kunst.
Stört Sie der Vogel?

Ich bin Zeina Arida, die Direktorin des Sursock Museums, eines Museums für moderne und zeitgenössische Kunst. Es wurde in Beirut 1961 eröffnet und agiert seither mit Ausstellungen und auch mit dem Aufbau einer Sammlung als Museum moderner, zeitgenössischer, hauptsächlich libanesischer Kunst.
Stört Sie der Vogel?

Nein. Aber gibt es eine Geschichte zu diesem Vogel?

Ja, tatsächlich, da gibt es eine Geschichte. Zuerst mal: Der Vogel heißt Nicolas, wie der Gründer dieses Museums. Vor allem aber ist dieser Vogel ein Kunstprojekt eines befreundeten, zeitgenössischen, libanesischen Künstlers, ein Projekt von Ziad Antar aus dem Sommer 2016. Dieser Vogel ist ein Gelbsteißbülbül, eine im Nahen Osten weit verbreitete Vogelart, ein Singvogel, dessen Namen aus einem persischen Wort abgeleitet ist, das dort die Nachtigall bezeichnet, wir nennen diese Art „Syrischer Bülbül“. Es gab in unserer Region, hauptsächlich im Libanon und in Syrien, die Tradition, diese Vögel aufzuziehen und als Haustiere zu haben. Sie sind sehr menschenfreundlich und neugierig, sie lieben es, zu interagieren, sie gewöhnen sich an Dich, wenn Du Dich mit ihnen beschäftigst.

Das Projekt des Künstlers Ziad Antar entstand im Rahmen einer sogenannten Beirut Art Residency und bestand daraus, diese Vögel in diesem Bezirk von Beirut wieder einzuführen und diese Tradition wieder aufleben zu lassen. Man hatte bei diesem Projekt die Möglichkeit, solche Vögel zu übernehmen. Wir als Museum nahmen zwei in Obhut, viele Menschen nahmen jeweils einen mit, Ziad gab jedem einen bemalten Vogelkäfig mit und abgemacht wurde, dass man den Vögeln das Fliegen beibringt und dass man nach einigen Monaten die Vögel im Bezirk Gemmayze, einem der noch am ehesten grünen Teile von Beirut, wieder freilässt, damit sie sich dort ansiedeln. Dieses Projekt und dieser Vogel sind jetzt gewissermaßen auch Teil unserer Sammlung.

Wir haben in unserem Team einen jungen Syrer, der in seiner Heimat sich tatsächlich um das Aufziehen dieser Vögel kümmerte und der war ganz glücklich darüber, dass hier im Museum nun wieder tun zu können. Als Teil eines Kunstwerks. Im Sommer und im Herbst war der Vogel immer draußen und lernte fliegen, und seit dem Winter ist Nicolas hier in meinem Büro. Wir mögen diesen Vogel alle sehr. Nun überlegen wir, ein Weibchen dazuzunehmen, damit sie Kinder großziehen können. Ziad Antar kommt auch von Zeit zu Zeit hierher und irgendwann entscheiden wir gemeinsam, wann wir ihn freilassen können. Nie hatte ich ein Tier in meinem Büro, aber Nicolas die Nachtigall, unser Syrischer Bülbül, hat alles verändert. Das ist die Geschichte zu diesem Vogel.

1993 - Rückkehr in den Libanon

Ich habe vorhin vom Museum und von mir begonnen zu erzählen. Also ich bin eine typische Angehörige der Kriegsgeneration, geboren gerade vor Beginn des Krieges. Viele meiner Generation haben den Libanon dann irgendwann verlassen, ich beispielsweise 1983, ich verbrachte zehn Jahre in Paris und studierte dort. Wie viele andere bin ich 1993 zurückgekommen; circa zwei Jahre, nachdem die Übereinkunft zur Beendigung des Krieges unterschrieben war und wir davon ausgingen, dass der Krieg nun wirklich vorüber ist.

Wir kamen aber in ein Land zurück, das ein völlig anderes war, als das, das wir verlassen hatten. Das zu akzeptieren war wie Pakt mit diesem Land, um überhaupt zurückkommen zu können. Als ich zurückkam, war ich neugierig, Libanon überhaupt erst wieder kennen zu lernen. Als ich zuvor hier lebte, war ich ja noch ein Kind. Und außerdem kannten wir ja alle nur unsere winzige, unmittelbare Umgebung. In Ashrafieh, also hier, war ich nie gewesen, ich wuchs im Stadtteil Hamra auf, und die einzige Freundin, die ich kannte, die aus Ashrafieh war, nannte ich deswegen auch gleich Madame Ashrafieh. Ich musste also alles neu erkunden und kennenlernen. Ich war schon hin und wieder dazwischen im Sommer im Libanon gewesen, aber das war dann fast wie eine Touristin und das ist natürlich was ganz anderes.

„Ich begann bei der UNESCO“

Als ich zurückkam, wollte ich unbedingt im Bereich der Kultur arbeiten. Ich begann bei der UNESCO, allerdings nur kurz, weil mir das zu bürokratisch war. Aber ich kam in Kontakt mit dem French Cultural Center, das in den 90er Jahren eine der wichtigsten Plattformen für die darstellenden Künste war, und auch für Bildende Kunst, und das war für mich die Chance, die ganze Szene sehr gut kennen zu lernen. Da wusste ich dann bald, dass ich in der Kunstszene des Libanon tätig sein will. Nach einigen Jahren wollte ich dann etwas Herausforderendes tun, ich wollte etwas initiieren, gründen oder auf eigene Art weiterbringen.

Damals traf ich mich mit den Gründungsmitgliedern der Arab Image Foundation, eine Non-Profit Initiative zum Thema Photographie im arabischen Raum, ein Projekt, über das sie gerade nachzudenken begannen. Das waren zwei Photographen und ein Videokünstler. Die Idee war, das langsam verloren gehende Photomaterial der vergangenen gut hundert Jahre zu retten, zu systematisieren und zugänglich zu machen. Als Künstler wollten sie auch mehr wissen über ihren eigenen geschichtlichen, visuellen Ausgangspunkt und dessen Kultur.

Das war für mich das perfekte Projekt. Ich war richtig aufgeregt und dachte, das hat ein riesiges Potential, auch Offenheit und Perspektive. Und es war klar, das füllt Lücken in unserer Gesellschaft. Zu dieser Zeit waren wir uns sehr bewusst darüber, dass die Rolle unserer Generation in dieser Zivilgesellschaft daraus bestand, Lücken zu schließen. In einem Land, in dem man praktisch alles tun konnte. Weil auch alles irgendwie neu gemacht werden musste. Was natürlich auch eine Chance ist.

Die eigene Geschichte verstehen

Ich war also sehr aufgeregt. Auch aus persönlichen Gründen. Ich wollte auch meine eigene Geschichte verstehen lernen, versuchen, einen direkten, eigenen Kontakt zu meiner Kultur zu bekommen, eben nicht durch die Augen meiner Eltern, oder überhaupt der Elterngeneration, weil diese Generation ließ nicht davon ab, uns davon überzeugen zu wollen, dass der Libanon vor dem Krieg, das heißt letztlich, Libanon bevor es „uns“ gab, die Schweiz des Nahen Ostens gewesen sei, gewissermaßen das Paradies auf Erden. Und meine Generation bemerkte eben bald, dass da was nicht stimmen konnte, sonst hätten wir eben nicht durch einen fünfzehnjährigen Bürgerkrieg hindurch gemusst und wir hätten auch nicht den Krieg beendet, ohne auch nur irgendein Problem wirklich gelöst zu haben. Also aus all diesen Gründen war die Gründung der Arab Image Foundation einfach erstaunlich und großartig.

Leitung der Arab Image Foundation

Ich habe die Arab Image Foundation in dieser Zeit geleitet, von 1997 bis 2014. Innerhalb dieser Jahre, nämlich bis 2005, durchlief das Land einen unglaublichen Boom. Kulturell, ökonomisch, finanziell, was auch immer. Es war eine erstaunliche Periode. Aber dann wurde 2005 Hariri ermordet und im Jahr darauf gab es den Krieg mit Israel, der kurz, aber sehr heftig war. Das war der Beginn der nächsten Ära. Und wir brauchten einige Jahre, um zu verstehen, dass die Zeit vor 2005 unsere goldenen Jahre gewesen waren.

In diesen Jahren begann das Gründen von Initiativen, eben die Arab Image Foundation, auch Christine Thome mit dem Ashkal Alwan produzierte und präsentierte zeitgenössische Kunst und Videos, auch andere Initiativen, dann das Beirut Art Center, das ebenfalls wichtig war für das Sichtbarmachen der libanesischen Kunstszene. Das waren die Verdienste von allen Beteiligten und war natürlich auch der Präsenz vieler interessanter Künstler und Künstlerinnen verdankt, die nicht wirklich zusammenarbeiteten, aber doch einen starken Zusammenhalt in ihren Werken und ihren Interessen generierten.

Natürlich war diese Zeit aber auch von einem Mangel an funktionierender Infrastruktur geprägt. Jedesmal, wenn die Arab Image Foundation oder Ashkal Alwan eine Ausstellung machen wollten, mussten wir alles wieder neu erfinden, ein schönes und brauchbares Gebäude finden, für Sicherheit sorgen, eine Minimum an technischem Equipment einbauen, um es dann für eine verhältnismäßig kurze Zeit nutzen zu können. Christine Thome ging schließlich dazu über, ihre Ausstellungen gleich im öffentlichen Raum wie beispielsweise auf der Hamra Straße zu machen oder in öffentlichen Gärten, und natürlich bekamen wir in all diesen Jahren überhaupt keine finanzielle, öffentliche Unterstützung. Es war wirklich eine Szene, die sich ohne eine zur Verfügung gestellte Infrastruktur entwickelte, egal ob man an Institutionen, Finanzen oder Räume denkt.

Nicolas Ibrahim Sursock Museum

Dieses Museum hier hat damals allerdings schon existiert. Das Nicolas Ibrahim Sursock Museum öffnete seine Tore 1961, es wurde von Nicolas Ibrahim Sursock, dem Besitzer dieses Hauses gestiftet, es ist ein kleiner Stadtpalast aus 1912. Er hat testamentarisch verfügt, dass sein Haus ein Kunstmuseum für alle Bürger des Libanon werden solle. Es war seine Vorstellung, das Haus offen für alle Libanesen zu halten und auch für eine Erziehung in künstlerischen Angelegenheiten zu sorgen. Es war ein bisschen so im Geiste der Bewegung von André Malraux, Kunst für jedermann.

Er selbst, also Nicolas Sursock, war gar kein wirklicher Kunstsammler, eher ein Sammler von besonderen Objekten und ein Amateur in Sachen Kunst, mit Sicherheit ein Intellektueller. Diese philantropische Geste schuf das bis heute einzige Kunstmuseum im Libanon. Bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs war das Museum extrem aktiv, auch für Treffen und Diskussionen. Man begann mit einer ersten Herbstausstellung gleich 1961, dem „Salon d’Automne“. Künstler konnten ihre Arbeiten einreichen und eine Jury sucht aus, was in diesem Jahr gezeigt wird, daraus generiert sich die jährliche Herbstausstellung und es gab auch immer Preise für gekürte Werke.

Über die Jahre war und blieb diese jährliche Herbstausstellung im Sursock Museum von großer Bedeutung, nicht nur für die Künstler selbst, sondern eben auch für alle anderen damit Befassten, die Kritiker, die Theoretiker, die Journalisten, das Publikum. Das Museum hat sogar während des ganzen Bürgerkriegs nie wirklich zugesperrt, es gab nur kurze, temporäre Schließungen. Wann immer es die Situation erlaubt hat, wurde eben wieder ein „Salon d’Automne“ durchgeführt. Aber natürlich war es im Vergleich zu vorher etwas stagnierend und es gab dann auch finanzielle Schwierigkeiten.

Aber als der Krieg vorbei war, eröffnete man ziemlich bald wieder größere Ausstellungen und auch die Tradition des „Salon d’Automne“ wurde fortgeführt. Aber irgendwie waren die Aktivitäten des Sursock Museums in dieser Nachkriegsgesellschaft eine Parallelwelt zu all dem, was in den späten 90er Jahren sonst alles an den erwähnten Initiativen und Neugründungen in der Stadt so passierte. Also auch wir arbeiteten mit dem Museum überhaupt nicht zusammen. Ich kam zwar manchmal zum „Salon d’Automne“, aber mehr nicht. Und es waren dann auch eher Ausstellungen, die auf einer Tour hier Station machten, und keine Eigenproduktionen des Museums.

Im Nachhinein betrachtet ist diese Zeit schon ein seltsames „missed date“, eine versäumte Beziehung zwischen diesem Museum und unserer Generation und den post-war artists. Das Museum in seiner damaligen Form konnte zwei Stockwerke nutzen, das war recht klein, sie konnten beispielsweise nicht die permanente Ausstellung und zeitgleich eine temporäre Ausstellung wie den Herbstsalon zeigen.

Zu Beginn der 2000er Jahre beschloss dann der Vorstand, dass das Museum in eine Erweiterung investieren solle. Das war dann ein langer Prozess, es waren zwei Architekten beteiligt, ein französischer und ein libanesischer, und die Aufgabe bestand darin, einerseits das Gebäude gründlich zu renovieren und andererseits unter dem Vorplatz einen zusätzlichen großen Raum für Ausstellungen zu schaffen. Das waren natürlich riesige Herausforderungen. Alles in allem dauerte der Umbau acht Jahre und in dieser Zeit war das Museum geschlossen.

Eine neue Programmausrichtung

Mich hat man dann im Frühling 2014 engagiert. Das Komitee suchte nach jemandem, der eine neue Programmausrichtung vornehmen würde, ein neues Team aufbauen, es musste ja alles neu definiert und durchdacht werden, es sollte auch nicht nur um Ausstellungen, sondern auch um weiteres Programm gehen, natürlich auch endlich mehrere Ausstellungen gleichzeitig, wie das eben jetzt gerade der Fall ist mit der permanenten Ausstellung im Haupthaus und dem „Salon d’Automne“ im unterirdischen Neubau, wir haben jetzt auch ein Auditorium für Veranstaltungen, die die Ausstellungen begleiten.

Ich arbeitete also noch in der Arab Image Foundation, als ein recruiter zu mir kam, und mir den Job der Direktorin des neuen Sursock Museums anbot. Ich dachte, das ist so eine unglaubliche Möglichkeit für Beirut und natürlich eine Herausforderung für mich persönlich. Also habe ich nicht gezögert. Eine der großen Möglichkeiten, die Beirut nun hat, ist, dass es verschiedenste Angebote gibt, nicht nur, aber eben auch für künstlerisches Arbeiten, für die verschiedensten Communities, und dieses mitzudenken leitet uns beim Programmieren des Museums.

Wir initiieren und programmieren natürlich Vieles selbst, aber wir laden absichtlich auch viele Gastkuratorinnen aus den verschiedenen Szenen ein, um mitzuarbeiten, fragen Künstler und Künstlerinnen, selbst ein Videoprogramm zu kuratieren, auch um uns beim Recherchieren zu helfen, wir machen immer wieder Konferenzen oder Symposien. Ich verstehe das Museum tatsächlich als eine Art Plattform, die offen für alle ist. Im Oktober 2015 hat das Museum wieder geöffnet, das ist jetzt gerade erst einmal circa eineinhalb Jahre, und auch wenn ich vorerst gar nicht vorrangig an Besucherzahlen interessiert bin, ist es doch sehr gut, dass das Museum beachtlich gut besucht ist.

Im ersten Jahr hatten wir 70.000 Besucher, wobei ich dazu sagen muss, dass bei uns der Eintritt frei ist. Und wir sind eine der ganz wenigen Institutionen im Libanon, die eine Art Förderung durch die öffentliche Hand bekommt. Das ist kompliziert, aber kurz gesagt sind wir eine semi-private, semi-öffentliche Institution. Wir haben das Privileg, wie ein privates Unternehmen geführt werden zu können, und dennoch mit öffentlichem Geld zu arbeiten. Ich halte das für besonders wichtig in einer Stadt, in der so viel gegründet wird, soviel Neues gerade wieder im Entstehen ist, neue Galerien, neue Privatmuseen, neue Kunstsammler, die daran interessiert sind, auch in längerfristige Projekte zu investieren. Denn das ist zwar alles wunderbar, aber ich höre nicht auf zu sagen, wie schon seit zwanzig Jahren: Auch wenn wir nicht wirklich einen Staat haben und in den meisten Fällen keine direkte Unterstützung von staatlicher Seite, sollten wir niemals aufhören daran zu arbeiten, im Libanon einen „public sector“ zu haben, der funktionsfähig ist. Aus all diesen Gründen repräsentiert dieses Museum genau dieses Potential und dessen viele Möglichkeiten.