Feridun Zaimoglu

AFP/JOHN MACDOUGALL

Luther-Roman von Feridun Zaimoglu

In seinem neuen Roman "Evangelio" konzentriert sich Feridun Zaimoglu auf jene zehn Monate, in denen Martin Luther als Junker Jörg auf der Wartburg lebte und in einer Zeit größter Anfechtungen das Neue Testament ins Deutsche übersetzte.

Insektenmenschenzeichnung, Ausschnitt

VERLAG KIEPENHEUER & WITSCH

Mittagsjournal, 25.3.2017

Faszination Sprache

Als Kind türkischer Eltern in Deutschland aufgewachsen, ist er Mitte der 90er Jahre mit dem selbstbewusst-aggressiven Ton seines Debüts "Kanak Sprak" schlagartig als Sprach-Berserker bekannt geworden. Mit einer Kunstsprache ganz anderer Art arbeitet er jetzt in "Evangelio".

Seit mehr als 30 Jahren beschäftigt sich Feridun Zaimolgu mit dem Christentum, zigmal, sagt er, habe er die Lutherbibel gelesen, fasziniert von dieser Sprache und dann begann er weiter zu forschen. "Ungefähr nach einem Jahr habe ich mich so auf den Ton eingestimmt, dass ich dann auch meine Kunstsprache finden konnte. Und dann ging es los."

Junker Jörg auf der Wartburg

Feridun Zaimoglu konzentriert sich in seinem Roman auf jene zehn Monate, in denen Martin Luther als Junker Jörg auf der Wartburg lebte und in einer Zeit größter Anfechtungen das Neue Testament ins Deutsche übersetzte. An Luthers Seite: ein strenggläubiger katholischer Landsknecht, der ihn beschützen soll und aus dessen Perspektive erzählt Zaimoglu denn auch die Geschichte.

Eine weitere Hauptrolle in dem Roman spielt die Sprache, ein derber Umgangston voller altertümlicher Wendungen. Nach zehn oder 20 Seiten Gewöhnung ist man aber mitten drin im deutschen Spätmittelalter, in einer rauen Welt, inklusive Krankheiten und Hinrichtungen, Folter, Mord und Totschlag.

"Hineingeweht in die Figuren"

"Wir haben diese Burgromantik, bestimmte Bilder, aber wenn man wahrhaftig schreiben möchte, dann muss man - was das Spätmittelalter anbetrifft - darauf eingehen, dass die Menschen aller Stände damals auf den Jüngsten Tag gewartet haben; jeden Moment konnte der Himmel einbrechen."

Die Arbeit an dem Roman, das sei für ihn deutlich mehr als eine Annäherung an Luther und seine Zeit gewesen. Er habe versucht, so nah wie möglich an der historisch verbürgten Figur Luther zu arbeiten. "Wie ein unsauberer Geist", sagt Zaimoglu, habe er es schaffen müssen, "in die Figuren hineingeweht zu werden. Distanz ist für mich Gift." Und das war für Feridun Zaimoglu in diesem Fall durchaus folgenreich. Er träumte und schlief schlecht, nahm ab, er konnte sich nicht "als Schreiber gut fühlen, während es den Figuren schlecht geht."

Viel Mitgefühl und Sympathie für einen, der das wohl nicht erwidert hätte, meint Feridun Zaimolgu schmunzelnd. "Ich bin Moslem; Luther hätte mich nicht nur nicht gemocht, sondern er hätte mich als Apostel des Teufels bezeichnet." Ist Martin Luther eine deutsche Geistesgröße oder ein Heiliger der letzten Tage?, fragt Feridun Zaimoglu zu guter Letzt und gibt auch gleich die Antwort: "Es darf mich nicht kümmern, ich bin ein Geschichtenerzähler."

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