Menschen als Fischschwarm

BEGO M. SANTIAGO

"Mood Swings" im MuseumsQuartier

Mit Stimmungsschwankungen lässt sich der Titel einer Ausstellung übersetzen, die morgen im Quartier 21 im Wiener MuseumsQuartier eröffnet wir. Hier setzen sich Künstler mit dem "postfaktischen Zeitalter" auseinander, das zunehmend Politik und Wissenschaft bedroht. Denn die Menschen sind überfordert von überkomplexen Faktenlagen und folgen daher lieber ihren Gefühlen.

Menschen als Fischschwarm

Bego M. Santiago, "Follow the Path" Videoinstallation, 2017

Bego M. Santiago

Mittagsjournal, 29.3.2017

Der Jukebox-Politiker

In einem Wahlkampf in Brandenburg trat 2004 ein smarter junger Politiker zum Wahlkampf an: Norbert Nadler. Er eröffnete Kunstmessen, schüttelte Hände, küsste Babys. In Wahrheit war er aber eine Kunstfigur, gespielt von dem Performancekünstler Nir Nadler aus den Niederlanden. Er gab diesen erfolgreichen Jungpolitiker ohne Ideologie, ohne Ideen, ohne Programm.

An einem Mischpult können die Besucher rote Knöpfe drücken, und es ertönen Reden von Norbert Nadler - mit jeder beliebigen Ideologie. Nadler ist eine Art Jukebox-Politiker, der nach der Ideologie Ihrer Wahl tanzt, sagt Nadler.

Gefühle entscheiden Wahlen

Das Wort "postfaktisch" wurde 2016 zum "Wort des Jahres" gewählt. Es beschreibt den Umstand, dass Gefühlen mehr geglaubt wird, als Tatsachen. Dass gerade jetzt alle von postfaktischen Zeiten reden, hat auch viel mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump zu tun. Ganz neu ist das nicht. Dass Realität das sei, was man empfinde, verhalf schon Ronald Reagan und George Bush Senior zu ihren Wahlerfolgen.

Diese Erfolge basieren laut Erkenntnissen der Massenpsychologie auf der Theorie, dass Menschen in einer Menge ihre Emotionen an die Gruppe anpassen und ihr individuelles Verantwortungsgefühl verlieren. Das veranschaulicht die Künstlerin Bego M. Santiago mit einem sehr ästhetischen Aquarium, in dem kleine menschliche Figuren wie Fischschwärme herumschwimmen. Dazu hört man sphärische Klänge.

Auswirkungen künstlicher Intelligenz

Fast wissenschaftlich mutet es an, wenn etwa der Künstler Antoine Catala zeigt, wie menschliche Mimik auf einen Telenoid Roboter übertragen wird, um so menschliche Gefühlslagen wie Angst oder Verzweiflung für den Roboter erkennbar zu machen.

"Catala interessiert sich für die artificial intelligence und wie sie unsere gesellschaftlichen Beziehungen verändert", erklärt Ausstellungskuratorin Sabine Winkler: "Wenn etwa daran gearbeitet wird, Roboter emphatisch zu gestalten. So werden menschliche Emotionen wie Angst oder Verzweiflung mittels Software auf den Roboter übertragen, um diese Gefühle für ihn erkennbar zu machen. So kann er dann gefühlvoller auf Menschen reagieren. Und andererseits werden Menschen darauf trainiert, ihre Emotionen nach einem ganz bestimmten Vorbild auszudrücken, damit der Roboter sie besser verstehen kann."

Diese Ausstellung im Museumsquartier übersetzt neue wissenschaftliche Versuchsanordnungen in ästhetische Bilder und ist damit ganz am Puls der Zeit.

Service

q21
MQW - Mood Swings. Über Stimmungspolitiken, Sentiment Data, Market Sentiments und andere Sentiment Agencies
31. März bis 28. Mai 2017

Gestaltung

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