Lothar Knessl

Johannes Cizek

Zeit-Ton

Musik zum 90. Geburtstag von Lothar Knessl

Was schenkt man einem Menschen zum 90. Geburtstag, dessen große Liebe die Neue Musik ist und für deren Vermittlung und Förderung er sich viele Jahrzehnte seines Lebens eingesetzt hat? Zum Beispiel ein Wunschkonzert, dargeboten vom Klangforum Wien.

Am 23. April 2017 konnte Lothar Knessl, der Doyen der Musik unserer Gegenwart, im Schubert-Saal dieses Geschenk hörend entgegen nehmen. Auf dem Programm seines Wunschkonzertes standen Kompositionen aus dem Osten Europas, nämlich Werke von György Ligeti, György Kurtág, Adriana Hölszky, Henryk Mikolaj Górecki und Galina Ustwolskaja.

Lothar Knessl mit Torte

Katharina Knessl

Kompositionsstudium bei Krenek und Schiske

Knessl, geboren am 15. April 1927 in Brünn, studierte zunächst in seiner Heimatstadt Klavier. Es folgten Studien der Musik- und Theaterwissenschaft sowie der Komposition bei Ernst Krenek und Karl Schiske. Danach arbeitete Knessl unter anderem als Lektor, Korrektor und Kulturredakteur. Ab 1971 leitete er das Pressebüro der österreichischen Bundestheater und war ab 1986 bis zu seiner Pension 1991 Pressereferent der Wiener Staatsoper.

Geburtshelfer von Wien Modern

Knessl war Geburtshelfer und jahrelang Kurator des Festivals Wien Modern, von 1992 bis 2000 war er Präsident der Österreichischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) und von 1993 bis 1996, zusammen mit Christian Scheib, Musikkurator des Bundesministers für Unterricht und Kunst. Zu seinen größten Verdiensten als Musik-Kurator zählt die Mitgründung des MICA (Music Information Centrum Austria), dem er von 1994 bis 2001 auch als Präsident vorstand.

Zusätzlich gestaltete Knessl ab 1968 die Ö1-Sendereihe "Studio Neuer Musik", den Vorläufer des heutigen "Zeit-Ton", und unterrichtete an der Wiener Universität.

Lothar Knessl auf einer Stiege

Johannes Cizek

Legendärer Sendungsgestalter

Die markante Stimme und die beredte Formulierungskunst, beruhend auf stupendem Fachwissen und schier unglaublichem Erfahrungsreichtum des Live-dabei-gewesen-Seins: Das ist seit Jahrzehnten die öffentliche Geheimformel, besser gesagt das Markenzeichen von Lothar Knessl. Seit fünfzig Jahren berichtet er in Ö1 auf diese Weise über das jeweils Aktuellste zur zeitgenössischen Musik.

Im Dezember ließ uns Lothar Knessl wissen, er höre auf mit dem Gestalten von Radiosendungen. Das kommt uns vor, als ob der Mond verkünden würde, er höre auf mit dem Aufgehen. Aber im Gegensatz zum Mond, der davon lebt, dass er angestrahlt wird, hat Lothar Knessl zwar auch immer reflektiert, dabei aber stets auch selbst gestrahlt. Und ausgestrahlt. Die Ergebnisse einiger Recherchen in den Ö1 Archiven zu Lothar Knessls ersten Radiosendungen mögen hier - als Einstimmung - dazu dienen, die inhaltliche und ästhetische wie auch die zeitliche Spannweite seines Radioschaffens anzudeuten.

Experimentelle Musik

Sonntag, 15. Oktober 1967 - den Sender Österreich 1 gibt es damals gerade erst zwei Wochen -, 23.10 Uhr: "Warschauer Herbst 1967. Lothar Knessl berichtet über die experimentelle Musik des Warschauer Musikfestes", und laut mündlicher Auskunft von Lothar Knessl waren unter den - im damals publizierten Programmausdruck verschwiegenen - Werkausschnitten dieser Sendung Pendereckis "Dies Irae" sowie die 2. Symphonie und das Streichquartett von Witold Lutoslawski.

Zu den folgenden Sendungen beziehungsweise Sendereihen von Lothar Knessl gehören Anfang des Jahres 1968 Berichte vom "IGNM-Weltfestival zeitgenössischer Musik in Prag" ebenso wie Programme aus Konzerten zum Beispiel im Großen Sendesaal in Wien mit Musik von Friedrich Cerha und Günter Kahowez am 2. April 1968. Am 18. Februar 1968 taucht ein neuer Sendungsname auf, der sich schon im Untertitel von Lothar Knessls erster Sendung über den Warschauer Herbst angekündigt hat: "Experimentelle Musik".

Ein zu vermittelndes, neues Terrain

Die am 20. Juli 1968 erschienene Ausgabe der Programmzeitschrift "Radio Österreich" ist die erste, deren Titelseite das Logo ORF zeigt. Im Programm dieser Woche des neuen Senders Österreich 1 steht am Montag um 23.10 Uhr "Zeitgenössische österreichische Musik" von Robert Schollum und Alfred Peschek, interpretiert von Bruno Maderna mit dem "Großen Orchester des Österreichischen Rundfunks". Ein Orchester mit dem Namen ORF Radio-Symphonieorchester gibt es damals noch nicht -, am Mittwoch um 23.10 Uhr "Zeitgenössische Musik" von Karl Amadeus Hartmann, "vom WDR, Köln, zur Verfügung gestellt" sowie auch am Dienstag um 23.20 Uhr ein 40-minütiger Bericht von der "Österreichischen Jugendkulturwoche Innsbruck", gestaltet von Lothar Knessl, der diese damals progressiv die Künste einander gegenüberstellende Veranstaltung präsentiert.

In der darauffolgenden Woche taucht wieder der zu Beginn des Jahres eingeführte Sendungstitel auf und spricht Klartext: "Experimentelle Musik" heißt der nun mehr oder weniger durchgängig von Lothar Knessl betreute Sendetermin; am Dienstag, dem 30. Juli 1968, ist beispielsweise Musik von Edgar Varèse, Aldo Clementi, Roman Haubenstock-Ramati und Luigi Nono zu hören. Auch wenn "experimentell" gar nicht als Versuch einer Gattungsbezeichnung eingeführt worden sein mag, vermittelt die neue Bezeichnung doch etwas Kämpferisches, besser gesagt das Wissen um ein zu erforschendes und vor allem zu vermittelndes, neues Terrain.

Studio Neuer Musik

Oftmals sind die Sendungen in thematische Abfolgen über einige Wochen hin gegliedert, sei es als Präsentation von Festivalprogrammen wie bei Luigi Dallapiccolas "Ulysses"-Uraufführung bei den Berliner Festwochen 1968 oder der 1968 gegründeten ORF-Eigenveranstaltung musikprotokoll im steirischen herbst. Konzerte dieses Festivals in Graz sind in den ersten Jahren nach der Gründung oft auch als Liveübertragung um 20 Uhr zu hören. Lothar Knessl widmet sich auch weiterhin der Präsentation österreichischer Komponisten mit Musik von beispielsweise Kurt Schwertsik, Otto M. Zykan, György Ligeti und Friedrich Cerha. Mit Beginn des Jahres 1969 etabliert sich - wie sich herausstellen sollte, für Jahrzehnte - der Sendungstitel "Studio Neuer Musik", und Lothar Knessl beginnt das Jahr mit einer Serie über aktuelle elektronische Musik.

Gestaltung