Eine Pusteblume in der Nacht

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Tonspuren

Das Dritte Reich des Traums

1933 begann die Berliner Journalistin und Schriftstellerin Charlotte Beradt Träume zu sammeln. Traumnotate, die heute wie literarische Seismographien der Errichtung einer Diktatur erscheinen; die von Menschen "während ihrer Einschaltung als Rädchen in den totalen Mechanismus" erzählen und die die Verbrechen, die erst folgen sollten, bereits vorwegzunehmen scheinen.

Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert des Traums. Franz Kafka, Walter Benjamin, Graham Greene, Helene Cixous, Franz Fühmann, Paula Ludwig, Heiner Müller, Georges Perec, sie alle dokumentierten ihre Träume. Ebenso taten dies, wenn auch nicht unmittelbar literarisch motiviert, Fabriksbesitzer, Schneiderinnen, Milchlieferanten oder Gemüsehändler.
Die Traumbilder der 1930er-Jahre, die Charlotte Beradt protokollierte, zeugen von einer Wirklichkeit, "die sich gerade anschickte, zum Alptraum zu werden"; Träume in schwarz-blond, diktiert von der Diktatur.

"Träume scheinen zwar die Wirkung äußeren politischen Geschehens im menschlichen Innern minuziös aufzuzeichnen wie ein Seismograph, doch sie stammen aus einer unwillentlichen psychischen Tätigkeit. Sie scheinen voller Aufschlüsse über die Affekte und Motive von Menschen während ihrer Einschaltung als Rädchen in den totalen Mechanismus."

Das notierte Charlotte Beradt in ihrem Buch "Das Dritte Reich des Traums", das erstmals 1966 in der Nymphenburger Verlagshandlung in München erschien. Im Buch heißt es weiter: "Herr S., der etwa sechzigjährige Besitzer einer mittelgroßen Fabrik, träumte am dritten Tag nach Hitlers Machtergreifung einen Traum in dem er gebrochen wurde, obwohl er physisch unangetastet blieb:"

"Der Traum des Fabrikbesitzers, der direkt aus der Werkstatt des totalen Regimes zu kommen schien, wo der Mechanismus seines Funktionierens erzeugt wird, festigte in mir einen Gedanken, den ich schon flüchtig gehabt hatte: daß Träume wie dieser nicht verlorengehen sollten. Sie könnten zur Evidenz gehören, wenn dem Regime als Zeitphänomen einmal der Prozeß gemacht würde. Ich fing also an, von der Diktatur diktierte Träume zu sammeln."

Träume sind Archive des Wissens

Barbara Hahn

2016 wurden Beradts Protokolle vom Suhrkampverlag neu aufgelegt. Die Germanistin Barbara Hahn hat die Neuauflage kommentiert.