Kellerleitung

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Unten drunter. Depots, Bunker, Keller

"Unten drunter" befinden sich Maschinen- und Schutzräume, Katakomben und Verliese. Kanalisation, Leitungsrohre und U-Bahnschächte bilden die unterirdischen Netzwerke der Großstadt; und in den Museumsdepots lagert weitaus mehr, als je in den Ausstellungsräumen gezeigt werden kann.

Es gibt Partykeller und Weinkeller, Bastel- und Schießkeller. Und es gibt Keller wie jene der Niederösterreicher Josef Fritzl und Wolfgang Priklopil oder des Belgiers Marc Dutroux. Der Weg in den Untergrund kann also auch ein Abstieg zu den dunklen Seiten sein – und das nicht nur symbolisch. Wo immer in Österreich gegraben wird – immer kann es passieren, auf die Überreste einer dunklen Vergangenheit zu stoßen. Gerade wieder erlebt bei den Bauarbeiten zum Grazer Murkraftwerk, wo man auf die Fundamente eines Zwangsarbeitslagers gestoßen ist. Aber auch fern solcher Abgründe ist der Keller für viele Menschen ein unheimlicher und befremdender Ort.

In österreichischen Kellern

In der Erdgeschosszone herrscht die bürgerliche Ordnung, unten drunter spielt sich bisweilen das Grauen ab. Klaus Nüchtern reflektiert in diesem "Diagonal" über die Rolle des Kellers in der österreichischen Literatur. Katrin Mackowski begibt sich auf der Suche nach dem, was in der Alltagssprache das „Unterbewusste“ genannt wird.

„Im Keller“ hatte der Hamburger Publizist Jan Philipp Reemtsma seinen Bericht über die 33 Tage, die er in der Gefangenschaft von Geiselnehmern verbringen musste, genannt. „Im Keller“ nannte auch Ulrich Seidl 2014 seinen Film über die eigentümlichen Freuden, die einige Österreicherinnen und Österreicher in Räumen unter der Erde verspüren.

25 verschiedene Verwendungen für unterirdische Privaträume hat Ulrich Seidl gefunden, vom Partykeller über den Keller für die Jagdtrophäen und den Schießkeller bis zum Sadomaso- und zum Nazi-Keller. Der war im Film Seidls Ort für Herrenwitze und Hitlerbilder, dort kamen die Nachbarn und die lokale Musikkapelle zusammen, und alle fanden das ganz normal. Nur die beiden burgenländischen Lokalpolitiker, die in Seidls Film zu sehen waren, die mussten danach zurücktreten. Obwohl sie sich, wie sie sagten, nichts dabei gedacht hatten.

Urbaner Untergrund

Das, was wir als Stadt wahrnehmen, ist nur ihre Oberfläche: Gebäude, Straßen, Grünanlagen. Doch zur Anatomie der Stadt gehört auch das, was unten drunter ist: Keller, Kanäle, Wasser-, Strom- und Fernwärmeleitungen, die U-Bahn. Es gibt eingewölbte Bäche und Flussläufe, an die nur mehr Straßennamen oder der gewundene Verlauf einer Straße erinnern. Aber auch die Überreste vergangener Zeiten befinden sich im Untergrund: in Wien etwa die Fundamente des römischen Lagers, Stollen aus der Zeit der Türkenbelagerungen, Grüfte, Katakomben, Luftschutzbunker.

Haupteingang eines Atombunkers

Bis in die 1990er Jahre sahen sieben der neun österreichischen Bundesländer in ihren Bauordnungen für Neubauten die verpflichtende Errichtung eines Schutzraums vor.

AFP/PAUL FAITH

Spinnweben, Weinfässer, Trockenmumien

Unterhalb von Wien befinden sich etwa die Überreste einer Rohrpostanlage, die die wichtigsten Postämter 80 Jahre lang, von 1873 bis zum Jahr 1956 verbunden hat. Oberirdisch gab es rote Rohrpost-Briefkästen, sie wurden alle 20 Minuten ausgeleert und die Briefe über Rohre mit Druckluft zum Postamt des Empfängers geblasen.

Eurostar-Zug

AFP/DENIS CHARLET

Wer von der Themse-Metropole nach Paris will, fährt heute auch "unten drunter": unter dem Ärmelkanal nämlich mit dem "Eurostar" genannten Hochgeschwindigkeitszug. Nur knapp mehr als zwei Stunden ist man unterwegs.

In die Wiener Unterwelt kann man im Rahmen von Führungen hinuntersteigen: vom Stephansdom aus in die Katakomben, auch die Kapuzinergruft und die Grüfte unterhalb der Michaelerkirche sind allgemein zugänglich.

Und das unterirdische Kanalsystem kann in sogenannten "Dritte Mann-Touren" besichtigt werden. Natasa Konopitzky war mit einem Höhlenforscher und einem Historiker unterhalb der Wiener Innenstadt unterwegs. Und sie hat dabei gemerkt, was absolute Finsternis ist.

Down and Out in Paris and London

London ist eine der teuersten Städte der Welt, und sie ist, jedenfalls im Zentrum, ziemlich dicht bebaut. Was bleibt also dem Oligarchen oder Hedgefonds-Manager, der sein Anwesen vergrößern will? Er baut nach unten. Unten wohnen aber auch die Ärmeren, und zwar unterhalb des Straßenniveaus in finsteren Wohnungen, wie Robert Rotifer berichtet.

Und auch Paris hat untergrund-mäßig einiges zu bieten, nicht nur die 16 Métro-Linien. Unter Paris erstreckt sich ein mehr als 300 Kilometer langes Geflecht aus Höhlen und Gängen. Die Pariser Katakomben sind unterirdischen Steinbrüche, aus deren Material die Stadt erbaut wurde, und in denen im 18. und 19. Jahrhundert die Gebeine aus den aufgelassenen Friedhöfen untergebracht wurden. Heute sind diese Räume für eine jugendliche Subkultur unkontrollierte und kostenlos zugängliche Freiräume zum Feiern, Trinken und Kiffen. Katharina Wagner war für uns im Pariser Untergrund unterwegs.

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Die größte unterirdische Stadt der Welt befindet sich unterhalb einer anderen französischsprachigen Metropole: dem kanadischen Montreal. Es ist ein Netzwerk für Fußgänger mit mehr als 30 Kilometer langen Wegen, es verbindet zehn U-Bahn-Stationen, Hunderte von Geschäften, Restaurants, Kinos und Hotels sowie zwei Universitäten miteinander. "Diagonal" widmete der Stadt bereits im Jahr 1999 ein Porträt.

U-Bahnabgang

U-Bahn in Montreal

ASSOCIATED PRESS

Das meiste sehen wir nie

In einem beeindruckenden Band mit dem schlichten Titel „Museumsdepots“ hat der Fotograf Stefan Oláh mehr als 100 Bilder versammelt, die die Sammlungen von etwa 30 unterschiedlichen Museen zeigen. Auf den Bildern Oláhs sieht man endlose Regale, verhüllte Objekte in riesigen Industriehallen oder Schutzbunkern, Steinfiguren in Reih und Glied – schlafende Objekte, ihres Kontexts beraubt. Man sieht beschriftete Bananenkartons, Paletten, Planschränke und Regale in geometrischer Ordnung. Denn Museen haben ja nicht nur die Aufgabe des Ausstellens und Vermittelns, sondern auch die des Erhaltens und Konservierens.

Wiener Hofburg: Depot birgt Originalschätze

Gipskeller in der Wiener Hofburg.

CHRISTIAN JOBST/PID

Die Museumsdepots aber stehen immer im Schatten der Ausstellungsräume, sie sind verborgene Orte, meist unterhalb des Museumsbaus. Und es geht in ihnen auch nicht in erster Linie um Kunst, sondern um Begasung, Schädlingsbekämpfung, Staubvermeidung, Brandschutz. Wolfgang Popp hat für uns zwei solcher Depots besucht.