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Radiokolleg
Daran wachsen -Resilienz
Jeder zehnte Mitteleuropäer erkrankt an psychischen Störungen. Jeder zweite fühlt sich gestresst. Der Preis für unsere globalisierte Gesellschaft ist hoch. Die Arbeitsausfälle durch psychische Erkrankungen haben sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt.
15. Juni 2017, 02:00
Wie lernen wir, mit Stress besser umzugehen? Und: Warum stecken manche Menschen extreme Belastungen anscheinend mühelos weg? Resilienz: die psychische Widerstandskraft eines Menschen beschäftigt darum weltweit zahlreiche Forscherteams.
Das Wort "Resilienz" leitet sich aus der lateinischen Sprache ab: "resilire" bedeutet "zurückspringen" "abprallen". Übersetzt wird Resilienz mit "Widerstandskraft".
Schutzfaktoren lassen sich gezielt erlernen
Innere Stärke entwickeln und äußere Unterstützung erhalten sind zwei Grundpfeiler im Konzept der Resilienz – Förderung, die Armutsforscherin Margherita Zander entworfen hat. Ihr Anliegen ist es, sogenannte Hochrisikokinder zu fördern. Als dritte Säule nennt sie die Fähigkeit, Problemlösungsstrategien zu entwickeln. Diese Schutzfaktoren lassen sich gezielt lehren und erlernen.
Bereits 1977 veröffentlichte die US-amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner die aufsehenerregende Langzeitstudie Die Kinder von Kauai. Über Jahre hinweg hatte die Forscherin auf der hawaiianischen Insel Kinder beobachtet, die unter schwierigsten Lebensumständen groß wurden. Und ihre Erkenntnis war: Kinder, die zumindest eine unterstützende und liebevolle Bezugsperson hatten, entwickelten die Kraft, die Slums hinter sich zu lassen und einen selbstbestimmten Weg einzuschlagen.
Krisen zum Guten wenden
Resilienz heißt nicht, Krisen zu vermeiden. Resilienz bedeutet, Krisen zu bewältigen und sie zum Guten zu wenden. Eine realistische Selbsteinschätzung und das Vertrauen, aktiv ein Problem lösen zu können, sind hier entscheidend. Die Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit, das eigene Verhalten und das von anderen zu interpretieren. Die Psychotherapeutin Svenja Taubner vom Universitätsklinikum Heidelberg bezeichnet diese Technik als Mentalisieren.
Das Gefühl, Teil eines sinnvollen Ganzen zu sein, ist ein wesentlicher Faktor für die psychische Widerstandskraft. Der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky wählte dafür in den 1970er Jahren den Begriff der Kohärenz. Einen Sinn im Leben sehen, seinen Handlungen Orientierung geben und sich als selbstwirksam zu erleben sind Voraussetzungen, um schwierige Situationen zu meistern.
Ein wesentlicher Aspekt in der Salutogenese wie auch in der Resilienz ist der Begriff "Kohärenzgefühl". Dieser Begriff meint die Grundhaltung des einzelnen Menschen gegenüber der Welt und gegenüber dem eigenen Leben.
Ein aktiver Vorgang und ständiger Lernprozess
Was zeichnet Menschen aus, die Stress besser aushalten? Wie reagiert ihr Gehirn? Das sind Fragen, die aktuell am Mainzer Resilienz-Zentrum gestellt werden. Wissenschaftler wie Raffael Kalisch und Klaus Lieb untersuchen neuronale Prozesse, die bei widerstandsfähigen Personen besonders aktiv sind. Auf Basis dieser Forschungen sollen Lernprogramme entwickelt werden, die Resilienz fördern und Menschen Krisen besser bewältigen lassen.
Der Psychoneuroimmunologe Christian Schubert vom Universitätsklinikum Innsbruck hat die Wechselwirkung zwischen Immunsystem und psychischer Gesundheit untersucht. Sein Fazit: Menschen, die ihre Lebensziele umsetzen können, sind gesünder. Vertrauen, Geborgenheit und Zuversicht sind das Rüstzeug, um flexibel auf Krisen zu reagieren und sich trotz schwieriger Lebensumstände zu behaupten.