Haus der Dichter in Yerewan

SASHA BURLAKA

Dimensionen

Eine Reise durch Armeniens Architekturgeschichte

In der Architektur Armeniens spiegelt sich die politische Geschichte des Landes wider, vor allem das sowjetische Erbe. Akteure der österreichischen Zivilgesellschaft, Bauhistorikerinnen, Vertreter von Architekturgesellschaften haben sich vor kurzem aufgemacht, den postsowjetischen Stadtraum Armeniens zu erkunden.

Georg Schöllhammer, Kurator, Herausgeber und Autor, ist Gründer und Leiter von Tranzit.at. Dieses Netzwerk wurde 2004 gegründet und verbindet mehrere unabhängige Initiativen in Österreich, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Rumänien, Georgien und Weißrussland. Schöllhammer leitet in diesem Netzwerk gemeinsam mit Hedwig Saxenhuber die Arbeitsgruppe "Die Gleichzeitigkeit von Modernen - Architektur an den Rändern des ehemaligen Sowjet-Reiches". Die Gruppe bereiste bereits das Baltikum, Weißrussland und vor kurzem Armenien, um zu vergleichen und zu dokumentieren, wie diese Länder nach dem Ende der Sowjetunion mit ihrem Architekturerbe umgehen.

Jerewan

Das erste Reiseziel ist Jerewan, Armeniens Hauptstadt. An seinen Bauten lässt sich, wie in ganz Armenien, das Spannungsfeld zwischen Architektur, Geschichte und Politik ablesen: Wie das Land nach dem ersten Weltkrieg bis de facto 1920 eine kurze nationale Unabhängigkeit erlangte. Wie diese Unabhängigkeit mit dem Einmarsch der Roten Armee und der Eingliederung in die Sowjetunion für fast sieben Jahrzehnte endete. Und wie die Republik Armenien auch nach 1991 mit dem sowjetischen Erbe verbunden blieb.

Neben der Sowjetmoderne, die vom Verfall bedroht ist, prägen die klassische europäische Moderne und eine traditionelle armenische Bauweise die Architektur des Landes, erzählt Reiseleiter Georg Schöllhammer, der uns nach Jerewan geführt hat. Fast die Hälfte der Bevölkerung, über 1,2 Millionen Menschen leben heute in dem wirtschaftlichen und geistigen Zentrum des Landes.

Die Cascade - 572 Stufen aus weißem Marmor

Alexander Tamanyan, 1878 geboren und 1936 in Jerewan gestorben, ist der bis heute verehrte Stadtplaner Jerewans. Er steht als riesenhafte Statue am Fuße der "Cascade", eines Treppenbaues mit 572 Stufen aus weißem Marmor. Zwischen den Ornamenten verläuft ein Wasserfall.

Cascade

Cascade in Jerewan

SASHA BURLAKA

Heute ist die "Cascade" ein beliebter Treffpunkt für Jung und Alt in Jerewan. Vor Armeniens Unabhängigkeit von der UDSSR im Jahr 1991 wurde hier die kommunistische Jugend vereidigt. Die floralen Marmorornamente huldigen den Sowjetrepubliken, der armenischen mit besonders reichen Ausschmückungen.

Jerewans Baumeister Alexander Tamanyan hat u.a. das Opernhaus der Stadt entworfen. Davor steht das Monument des Komponisten Aram Khatschaturyan. Auch die grundlegende Struktur Jerewans, die Nordachse, hat Tamanyan 1923 angelegt. Sein Plan wurde in den 1970er und 1980er Jahren weiter ausgeführt und ist bis heute noch maßgeblich, sagt Georg Schöllhammer.

Das Monument des Alexander Tamanyan steht am Fuße der "Cascade" und stellt einen über den Stadtplan Jerewans gebeugten Riesen dar, in langem Gewand mit überdimensionierten Armen, gestützt auf einen steinernen Tisch. Die Verehrung für ihn ist verbunden mit der Erinnerung an die Staatsgründung zur kurzen Unabhängigkeit Armeniens im Jahr 1918.

Am oberen Ende der "Cascade"- des Treppenbaues - befinden sich ein Kammermusiksaal und eine Bar mit einem wunderbaren Ausblick auf Jerewan. Seitlich führen Rolltreppen nach oben, flankiert von Kunstwerken. Gemeinsam mit Georg Schöllhammer schweben die Mitglieder der Gruppe an Skulpturen von Botero, Niki de Saint Phalle und vieler Künstler und Künstlerinnen vorüber, die in der armenischen Diaspora leben und arbeiten. Ebenso viele Menschen - etwa drei Millionen - leben außerhalb wie innerhalb des Landes.

Jerewan und der rote Tuffstein

Jerewan - den ganzen Tag über ist die Stadt in ein rötliches Licht getaucht. Das kommt von dem Stein, erzählt der Architektur-Historiker Ruben Arevshatyan, der Jerewan prägt: Tuff. Das vulkanische Gestein enthält Luftblasen, ist porös und doch wasserabweisend und isoliert gut.

Tuffstein

Über Jahrhunderte wurde Tuff beim Bau von sakralen und profanen Bauten verwendet, sagt Georg Schöllhammer, der Stein ist ein typisches Merkmal des armenischen Baustils.

SASHA BURLAKA

Das Haus der Dichter

Es geht zum Sewan-See, 60 Kilometer östliche von Jerewan entfernt, nahe der Grenze zu Aserbaidschan. An ihm liegt das berühmte Literaten-Resort, das "Haus der Dichter". Wie ein frei schwebendes Raumschiff ragt seine Glasfront aus einem Berg heraus - mit einem großzügigen Speisesaal. In der Nähe das Haus der Komponisten. Beide Häuser liegen etwas abseits der Straße. Die Komponisten und Schriftstellerinnen sollen am Sewan-See möglichst ungestört arbeiten können.

Das "Haus der Dichter", als Inkunabel der Sowjetmoderne auf dem Cover zahlreicher internationaler Architekturausstellungen, hat der Architekt Gevorg Kochar vollendet. 1969. Geplant und begonnen wurde es von einer sich proletarisch nennenden Architektur-Gruppe bereits in den 1930er Jahren. Ihre Mitglieder wurden ins Exil getrieben und konnten erst in den 1950er-Jahren wieder zurückkehren, sagt Ruben Arevshatyan. Der Architekturhistoriker leitet die Restaurierung des "Hauses der Dichter".

Der Architekt Gevorg Kochar nahm in den 1960er-Jahren die Ideen seiner Vorgänger auf und plante den ausladenden Speisesaal, die Kantine, in derselben organischen Bauweise wie das Wohn- und Arbeitshaus mit seinen Studios. Jetzt leitet der Architekturhistoriker Ruben Arevshatyan jene Arbeitsgruppe, die, unterstützt von der Getty Stiftung, die Restaurierung mit den Ideen aus der ursprünglichen Planung verbindet.

Atommeiler Stadt Metsamor

Die Autofahrt geht in Richtung Westen an die türkische Grenze. Immer vor Augen und dennoch unerreichbar jenseits der Grenze zur Türkei, ist der Sehnsuchtsberg des armenischen Volkes, der Ararat. Auf dem Weg dahin liegt die Stadt Metsamor, 30 Kilometer westlich von Jerewan.

Metsamor

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Die Straße säumen zahlreiche Kioske, die Tomaten und anderes Gemüse anbieten. Je näher der Bus der Türkei kommt, umso stärker wird der Schwefel-Geruch. Er kommt aus den Schloten eines Atomkraftwerks bei Metsamor. Die vier Atommeiler des Kraftwerks ragen, in der Form von Sanduhren, vor uns in den Himmel.

In Metsamor werden wir von Sarhat Petrosyan empfangen, Architekt, Stadtplaner und Gründer des Urban Lab, eines Architektur-Labors zur Stadterhaltung. Sarhat Petrosyan führt uns durch die Stadt, erklärt uns die ursprünglichen Pläne und wie sich durch geänderte politische Bedingungen verändert haben.

Metsamor wurde in nur zwei Jahrzehnten, von 1967-1986, geplant und gebaut - und zwar von einem einzigen Architekturbüro. Projektleiter war Martin Mikaelyan. Dank der großzügigen Grund-Fläche wurde eine Planung mit vielen offenen Flächen und Plätzen und mit raffinierten Mustern, Strukturen und Türmen möglich. Die Hälfte der Bevölkerung arbeitet im Atomkraftwerk, der andere Teil in der Verwaltung und in den Schulen.

Derzeit gibt es kein Restaurant, kein Cafe, keine öffentlichen Toiletten in Metsamor. Kaum ein Gebäude, das nicht renovierungsbedürftig ist, dennoch wird in den heruntergekommenen Sporthallen trainiert. Über Marktbuden, in denen die Menschen eilig ihren Einkauf erledigen, sind improvisierte Plastikzelte gespannt.

Metsamor soll als architektonisch wertvolle und lebenswerte Stadt erkannt werden, wünscht sich Sarhat Petrosyan und weist auf Elemente wie die Innenhöfe hin: der Architekt Mikaleyan hat bewusst Ähnlichkeiten mit der Bauweise in der Hauptstadt Jerewan geplant.

Was die Zukunft für Metsamor, dieser Musterstadt sowjetischer und postsowjetischer Architektur, bringen wird, ist noch nicht beschlossen. Möglicherweise eine stärkere Rückbesinnung auf die Geschichte, die bis in neolithische Zeiten zurückreicht. Bereits in den 1960er Jahren wurden hier 7.000 Jahre alte Steinkreise ausgegraben. Eine Geschichte, die die Stadt in ihrem Namen trägt.

Die lange Geschichte der Stadt Metsamor lässt sich sozusagen Schicht für Schicht ablesen: das Neolithikum, das Atomzeitalter und eine postnukleare Zukunft, geplant von einer jungen Architekturszene, die aus Metsamor eine lebenswerte Stadt an der türkischen Grenze machen will.

Ein Fazit

Bei der Rückkehr nach Jerewan ist sich die Reisegruppe in der abschließenden Gesprächsrunde uneinig welche Ergebnisse veröffentlicht werden sollen. Welche Ergebnisse oder gar Analysen in Vorträgen und Ausstellungen mit der Öffentlichkeit geteilt werden.

Wolfgang Kill, Architektur-Publizist in Berlin, rät ab, Analysen der Sowjetzeit und ihrer Architektur oder Empfehlungen zum Denkmalschutz abzugeben, Wolfgang Kill sagt:
"Wir sind Reisende in einer uns sehr unbekannten Welt. Wenn wir nach Hause kommen, werden wir darüber berichten, was wir gesehen haben. Jede und jeder aus eigener Perspektive und mit eigenem Wissen. Aber ich bezweifle, dass wir nach einer zwei- dreitägigen Reise erklären können, was das Geheimnis des Sowjetsystems, seiner Wirtschaft und Gesellschaft ist."

Tuffsteingebäude

SASHA BURLAKA

"Das einzige was wir haben ist unser Wissen über die Verbindung von Architektur und Gesellschaft. Was immer wir tun, am Ende dieser Reise sollten wir auch daran denken, was wir alles nicht gesehen haben. Ich persönlich fühle mich nicht im Stande etwas zu erklären oder zu interpretieren, wir können es nur beschreiben, das gewonnen Material in einen breiteren Diskurs zu bringen."