Fat House

JOHANNES STOLL

Mit vollem Körpereinsatz

Erwin Wurm im 21er Haus

Es ist das Jahr des Erwin Wurm. Denn er stellt heuer so oft aus wie kein anderer österreichischer Künstler. Im Kunsthaus Graz zeigt Erwin Wurm noch bis Ende August Wortskulpturen, im Leopold Museum flirtet Wurm mit dem Biedermeier-Maler Carl Spitzweg und bei der Biennale in Venedig sind Wurms "One Minute Sculptures" zu sehen. Diese Woche eröffnet eine weitere Ausstellung, die Österreichs erfolgreichsten Künstler gewidmet ist.

Erwin Wurm, House Attack

GERALD Y PLATTNER

"House Attack", Performance 2012

Mit vollem Körpereinsatz

Da sieht man ihn, wie er mit voller Wucht, mit Fäusten und Beinen, auf ein Tonmodell eindrischt. Wie er immer wieder ausholt eine Stange zur Hilfe nimmt, dann wieder die bloßen Hände und sein Material bearbeitet. Anlässlich der Ausstellung "Performative Skulpturen", die am 1. Juni im 21er Haus eröffnet, kursiert ein Video in den Sozialen Netzwerken: Es zeigt Erwin Wurm als vermeintlich cholerischen Kunstberserker, der auf seinen Werkstoff einprügelt. Die Früchte von Wurms Zornbrüchen sind jetzt jedenfalls im 21er Haus ausgestellt.

Mittagsjournal, 29.5.2017

Christine Scheucher

Was hat Sie bloß so wütend gemacht, Herr Wurm? "Das sind keine Zornausbrüche, das sind gelenkte Aktionen. Normalerweise modelliert man Ton ja mit den Händen und ich hab mir gedacht, was ist, wenn man den ganzen Körper miteinbezieht. Also nicht nur die Arme, sondern auch die Beine, die Ellbogen, die Knie, das Gesäß, weil es mich interessiert hat, zu schauen, wie weit ich etwas deformieren kann."

Garantiert ohne Pathos!

Wer Erwin Wurms Arbeiten kennt, vermutet hinter der großen Geste die Persiflage eines Künstlerklischees. Das überrascht nicht bei einem Künstler, der den Humor zu seiner Haltung gemacht hat und dem Pathos - wohl in Abgrenzung zur älteren Generation der Wiener Aktionisten - konsequent eine Absage erteilt. "Ich glaube, dass man unsere letzten Wahrheiten und nicht nur die letzten Wahrheiten, sondern auch die vorletzten nicht mit Pathos ausdrücken muss. Das haben ja einige Generationen vor mir gemacht: je größer, desto wichtiger! Ich konzentriere mich auf das Marginale, Kleine, das, was man gerne übersieht und nicht zeigt."

Mit seinen "One Minute Sculptures" sucht Erwin Wurm das Ephemere, Flüchtige, Peinliche, fokussiert die kleinen unbeobachteten Momente, die er gewissermaßen zur Skulptur einfriert. Wurm fordert den Besucher, die Besucherin einer Ausstellung dazu auf, seinen Handlungsanweisungen zu folgen und für eine Minute zur Skulptur zu werden. Bei den performativen Skulpturen, die nun im 21er Haus zu sehen sind, ist es der Künstler selbst, der mit vollem Körpereinsatz gefordert ist.

Ausstellungsansicht "Erwin Wurm - Performative Skulpturen"

Ausstellungsansicht "Erwin Wurm - Performative Skulpturen"

JOHANNES STOLL

Er wuchtet sich auf rohe Tonblöcke, oder Tonmodelle - etwa auf das Modell eines Kühlschranks -, oder tritt auf ein überdimensioniertes Mobiltelefon ein. Doch es sind nicht nur die Objekte des Konsumkapitalismus, die Wurm bearbeitet. Auch Architekturmodelle sind vor ihm nicht sicher: sei es sein Elternhaus, das wir bereits als geschrumpftes Narrow House kennen, oder aber das berühmte Gefängnis in Stuttgart Stammheim. Die attackierten Modelle gießt Wurm in einem zweiten Arbeitsschritt in Aluminium, Bronze, oder Kunstharz ab.

Do it yourself!

Wo man Zerstörungswut vermutet, findet man auf den zweiten Blick eine Auseinandersetzung mit der Kunstmanufaktur modernen Zuschnitts. "In den 1990er Jahren haben die Künstler verlernt, Arbeiten selbst zu machen. Sie haben sie produzieren lassen. Es gibt ganze Heerscharen von Künstlern, die so arbeiten und ich war auch einer davon. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich die Nähe zur Arbeit verliere, weil sie von anderen hergestellt, gegossen und gemacht wird. Ich hatte fast nichts mehr damit zu tun. Ich dachte, es wäre interessant, wenn ich mich auf eine spezielle Art und Weise involviere und diese performativen Skulpturen sind ein Versuch in diese Richtung", sagt Erwin Wurm.


Jeff Koons hat es schon in den 1980er Jahren vorgemacht. Er legte bereits damals selten selbst Hand an und dirigierte stattdessen lieber eine Truppe von über 100 Mitarbeitern. Auch von Erfolgskünstler Olafur Eliasson weiß man, dass über 100 Mitarbeiterinnen an der Umsetzung seiner Visionen beteiligt sind. Die Kunstmanufaktur, in der Serienprodukte entstehen, figuriert als Gegenstück zum einsamen Malergenie. Sie macht aus dem Künstler einen Unternehmen, der eine Trade-Mark, die eigene Signatur, vermarktet. Davor ist ein internationaler Erfolgskünstler wie Erwin Wurm nicht gefeit. Wurm arbeitet heute allerdings mit einem vergleichsweise überschaubaren Stab von sieben Mitarbeiterinnen.

Dass Wurm die Gefahren der Kommerzialisierung seiner Kunst ernst nimmt, zeigt er mit seinen performativen Skulpturen, die bis September im 21er Haus zu sehen sind.

Service

21er Haus - Erwin Wurm. Performative Skulpturen. 2. Juni bis 10. September 2017

Gestaltung