Fahrrad mit rosafarbener Blume

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Ö1 Schwerpunkt

200 Jahre Fahrrad

Aus heutiger Sicht mag es etwas lächerlich gewirkt haben, als Karl Freiherr von Drais, ein stattlicher Ingenieur aus Karlsruhe, am 12. Juni 1817 mit seinem eben erfundenen Laufrad stolz auf der besten Straße Mannheims bis ins kleine Örtchen Schwetzingen fuhr, bei der Pferdewechselstation vor der Sommerresidenz wendete und wieder heimkehrte.

Vom Laufrad zum Rover

Damals war es eine Sensation: Karl Drais hatte mit seinem Zweirad nämlich nur ein Viertel der Zeit gebraucht, die eine pferdebetriebene Postkutsche für diese Strecke benötigte. Mit der "Draisine", so nannte Karl Drais seine Erfindung, war das Ur-Fahrrad geboren. Ein Verkehrsmittel, das die gewohnte Gesellschaftsordnung revolutionieren sollte.
Das Fahrrad, wie wir es heute kennen, ist allerdings eine internationale Erfindung: Rund fünfzig Jahre nach Karl Drais erfand ein Franzose den Vorderrad-Pedalantrieb. Das Hochrad war erdacht. In England brachte ein gewisser John Kemp Starley in den 1880er Jahren dann mit dem "Rover-Zweirad" das Niederrad mit Kettenantrieb auf den Markt.

Das Fahrrad als Luxusgut

In vielen europäischen Ländern und auch in den USA entstanden Fahrradklubs – höchst elitäre Vereine, die auf eigens angelegten Fahrrad-Rennbahnen Wettfahrten veranstalteten und gemeinsame Ausfahrten unternahmen. Das Fahrrad war ein Statussymbol – sogar der amerikanische Ölmilliardär John D. Rockefeller soll Ende des 19. Jahrhunderts ein stolzer Fahrradfahrer gewesen sein.

Das Anarchische am Fahrrad

In der streng geordneten Gesellschaft des 19. Jahrhunderts war das Fahrrad ein höchst anarchisches Fortbewegungsmittel: Statt in Schrittgeschwindigkeit in geregelten Bahnen bewegten sich Fahrradfahrer kurvenreich und flink in den Städten, was zu zahlreichen Konflikten mit Obrigkeiten, zu Auflagen und Verboten führte.

Vehikel der Emanzipation

Für die Emanzipation der Frau hat das Fahrrad einiges geleistet. Die radfahrende Frau musste sich nämlich selbstbewusst gegen allerhand Vorurteile zur Wehr setzen: Radfahren sei für Frauen unsittlich, gebärmutterschädigend und verzerre die anmutige weibliche Mimik, um nur einige der von Männern geäußerten Bedenken zu nennen. Doch gerade für die adeligen und bürgerlichen Frauen taten sich mit dem Fahrrad neue Möglichkeiten der Selbstentfaltung auf: Das Korsett konnte gegen Hosenröcke getauscht werden, es gab mehr Bewegungsspielraum und Kontaktmöglichkeiten.

Auf dem Weg zum Massenverkehrsmittel

Im 20. Jahrhundert war das Fahrrad dann endgültig vom elitären Sportgerät zum Verkehrsmittel geworden, das auch für den einfachen Arbeiter erschwinglich war. Doch spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg war es hierzulande für Jahrzehnte wieder vorbei mit der Fahrradmode. Wien wurde zur Autostadt. Erst in jüngster Zeit ist ein Umdenken zu erkennen, das Fahrrad als Verkehrsmittel in der Stadt zu etablieren. Ein Vorbild ist die dänische "Fahrrad-Hauptstadt" Kopenhagen. Hier hat das Fahrrad einen Stellenwert in der Stadtplanung, der dem des Autos mindestens gleichkommt. Die Hälfte der Kopenhagener pendelt nach offiziellen Angaben mit dem Rad zur Schule oder Arbeit. Viele Familien haben kein Auto, sondern nutzen ein Lastenrad – und das nicht nur aus Kostengründen, sondern weil Radfahren einfach effizienter ist. Für den Rang als Fahrradstadt muss Wien dagegen noch ordentlich in die Pedale treten.

Service

In den Dimensionen beschäftigen sich im Juni zwei Sendungen mit dem Fahrrad: Am 6. Juni geht es um die Kulturgeschichte des Fahrrads in Österreich, und am 29. Juni radeln wir zwecks Vergleichs durch Wien und Kopenhagen.

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