Zeitungsständer

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Boulevard in Zeiten des Wahlkampfs

Die Macht des Boulevards in Zeiten des Wahlkampfs

Die Kritik an den Regierungsinseraten und an möglicher Medienförderung auch für Gratiszeitungen, wie sie in der ersten #doublecheck-Ausgabe noch von SPÖ-Chef Bundeskanzler Christian Kern gekommen ist, die wird in den nächsten Monaten wohl nicht mehr so laut sein. Die Regierung ist zerbrochen, wir stehen mitten im Wahlkampf. Da hat der Zeitungsboulevard eine machtvolle Position.

Die „Kronenzeitung“ war immer schon sehr mächtig und von Politikern gefürchtet. Sie ist mit ihrer laut Media-Analyse enormen Reichweite von mehr als 2,2 Millionen Lesern unter der Woche und 2,8 Millionen am Sonntag in diesem kleinen Land eine Ausnahmeerscheinung. Seit einem Jahrzehnt mischen auch die Gratisblätter „Heute“ und „Österreich“ auf dem Boulevard mit. „Heute“ hat fast eine Million Leser, in der Bundeshauptstadt Wien hat die Gratiszeitung die „Kronenzeitung“ von der Reichweite her schon überholt. „Österreich“ von Wolfgang Fellner hat laut Media-Analyse immerhin 600.000 Leser.

Sebastian Kurz, der Medien-Liebling

Für einen Politiker im Wahlkampf spielt es eine wichtige Rolle, ob er vom Boulevard geliebt oder weniger freundlich behandelt wird. Der neue ÖVP-Obmann Sebastian Kurz ist da in einer angenehmen Position, die „Kronenzeitung“ schreibt seit Monaten immer wieder freundlich über ihn. Kurz war zuletzt auch gern gesehener Gast beim „Krone“-Sommerfest, ein Fixpunkt im Kalender für die Medienszene. Aber auch im oe24-Fernsehstudio von Wolfgang Fellner tritt der Außenminister, der bei seinen Medienterminen sehr wählerisch ist, gerne auf.

„Werden uns auf niemandes Seite schlagen“

Fellner beteuert allerdings im #doublecheck-Interview, dass das während des Wahlkampfs anders werde: „Wir garantieren, dass wir uns auf die Seite von niemandem schlagen werden. Kanzler Christian Kern soll genauso oft im Studio sein wie Sebastian Kurz.“ Fellner will, was die Distanz zu den Parteien betrifft, sogar Vorbild werden. Beobachter haben da so ihre Zweifel. Von den drei Boulevardblättern traut man am ehesten „Heute“ eine gewisse Distanz zu, tatsächlich sagt Herausgeberin Eva Dichand: „Wir werden uns mit den Inhalten beschäftigen und uns relativ neutral verhalten, soweit das möglich ist.“

„Einmal Kern, dann Kurz, dann Strache“

„Heute“ wird aufgrund seiner Entstehungsgeschichte und der Unterstützung durch die Stadt Wien mit Inseraten und bei den Entnahmeboxen in der U-Bahn eine gewisse SPÖ-Nähe nachgesagt. In der Tat kommt Bundeskanzler Christian Kern selbst in Zeiten der Kurz-Euphorie in dem Gratisblatt ganz gut weg, mit Tipps zum Anbandeln für Jugendliche etwa. Oder einem „Heute“-Hang-out in New York, begleitet von schönen Bildern. Eva Dichand: „Das ist einmal der Herr Kern, beim nächsten Mal der Herr Kurz und dann ist es einmal der Herr Strache. Und immer der, der es nicht ist, regt sich auf.“

Medienmacht blieb in der Familie Dichand

Der Wettbewerb auf dem Boulevard ist härter geworden, seit die Gratiszeitungen mitmischen. Wobei bemerkenswert ist, dass mit der „Kronenzeitung“ und „Heute“ die größte und die zweitgrößte Zeitung Österreichs in der Hand einer Familie sind. Eva Dichand ist „Heute“-Chefin, ihr Mann Christoph Dichand ist Herausgeber der „Krone“ – die zur Hälfte den Erben des Gründers Hans Dichand gehört, für die ebenfalls Christoph Dichand spricht. Den härteren Wettbewerb merkt man auch an der oft schrillen Berichterstattung.

Fellners Ping-Pong-Spiel mit der FPÖ

Verschärfend kommt hinzu, dass die Boulevardzeitungen online um Reichweite buhlen – und das nicht selten um jeden Preis. Und weil die User schon jetzt zum größten Teil über Soziale Netwerke wie Facebook und Instagram auf die Internetseiten der Zeitungen kommen, werden auch heimliche Allianzen mit reichweitenstarken Politikern auf Facebook geschlossen. Etwa mit FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache, der auffallend oft Postings von oe24.at teilt - und Wolfgang Fellner damit Klicks und Geld bringt.

„Boulevard bleibt immer Boulevard“

Die Definition von Boulevard, die „Falter“-Herausgeber Armin Thurnher formuliert, wird dadurch immer öfter ins Extreme gesteigert: „Boulevardzeitungen unterliegen einfach anderen Prinzipien, denen seriöser Journalismus nicht unterliegen sollte, wo er versuchen muss, sich ihnen zu widersetzen: Personalisierung, Beschleunigung, Zuspitzung, Skandalisierung.“ Thurner will deshalb auch nicht zwischen gutem und bösem Boulevard unterscheiden.

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